Roger Cicero“™s neue Wege: Vielfarbig und spannungsreich !

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ARTGERECHT ( CD vom 3. April 2009)Roger Ciceros“™s neue CD „Artgerecht“ ist wegen der ambitionierten, aber auch etwas unbekümmert stilistischen Vielfalt, nicht einfach zu rezensieren. Eben Cicero“™s eigene Aussage, dass es sein bisher bestes Album sei, macht eine genaue Beurteilung gerade für einen Fan schwierig, als der ich mich ja nun in vielen Besprechungen seiner Aufnahmen geoutet habe. Als „Fan“ seiner Musik will ich zumindest versuchsweise seinem neuesten Werk, trotz subjektivem Empfindens, gerecht werden: dieser CD, die so sehr „seiner Art“ gerecht sein soll.

Der hauseigene Pressetext klotzt verkaufsstrategisch legitim mit Superlativen, aber wenn ich davon etwas abstreiche, freut es mich „Artgerecht“ nach häufigerem Hören als ein überwiegend gutes Album einzuschätzen. Die Singleauskoppelung „Nicht Artgerecht“ habe ich hier schon an anderer Stelle ausführlich besprochen. Fangen wir erst mal mit den „Highlights“ an.

Mit Song Nr. 5 „SPONITS ZEUGEN BANKER“ ist Cicero und Band 100% gelungen, was angestrebt war: es fetzt und groovt in Reinkultur! Akzentuierte Bläsersätze und Hintergrundchor sind fantastisch arrangiert. Textlich glänzt der Song mit Wortwitz und Satire. Mehr Funktitel auf der CD hätten noch eindeutiger Cicero“™s überall proklamierte „soul- und motownorientierte“ Richtung bewiesen. Aber das Album will breitere, voneinander differierende Käuferschichten erreichen, wie es die Songs denn auch mit ihrer starken Unterschiedlichkeit versuchen.

In Balladenform kommt bei „OHNE WORTE“ Cicero“™s Soulbegeisterung noch einmal stark zum Ausdruck. Vollkommen sicher intoniert er eingangs Falsettgesang, und brilliert danach mit seiner kraftvollen, flexiblen Stimme, die intensiv mit dem in Prince-Manier inszenierten Chor effektvoll kontrastiert. Ein schöner Song!

Es ist verständlich, dass Roger Cicero immer die Songs erstklassig gelingen, bei denen eine sehr persönliche Motivation ihn getrieben hat. Bester Titel auf „Beziehungsweise“ ist für mich seine Hommage an seinen Vater. Auf „Artgerecht“ ist es die Liebeserklärung an seinen Sohn Louis, dem auch das gesamte Album gewidmet ist. „FÜR „™NEN KERL“ halte ich für eines der musikalisch anspruchvollsten und stimmigsten Lieder der neuen CD. Satter Big-Band-Sound, der auch einem Ray Charles gefallen hätte, dominiert den Song. Egal, ob man das nun eine „jazzige „Soulballade“ oder eine “ bluesige Jazzballade“ nennen will „“ es klingt richtig gut. Der Text ist persönlich, aber frisch gewordene Väter können sich sicher sofort damit identifizieren.sein. Gefühlvoll, aber larmoyanzfrei und stellenweise auch recht drastisch.

Als weiteres Highlight sticht „WENN ICH DICH LOS WÄR“ mit eindringlicher, ohrwurmverdächtiger Melodie und einem typischem Motown- Arrangement, – inklusive Streicher – hervor. Lutz Krajenski hat hier ein schönes Hammond-Solo. Neben „Spontis zeugen Banker“ ist „Wenn ich dich los wär“ noch ein Titel, bei dem der „Retro -70s-sound“ ausgezeichnet funktioniert.

Die Güte des Songs „ICH BIN DABEI“ erschloss sich mir erst nach mehrmaligem Hören. Soundmäßig klangen so in den frühen Siebzigern die Arrangements verschiedener Burt Bacharach Kompositionen, die ich immer sehr austauschbar fand. Diese Art Arrangements mit ihren Streichern bringen den Song irgendwie automatisch in die Nähe von „Easy Listening“, was nicht unbedingt meinem Musikgeschmack entspricht. Aber „Ich bin dabei“ ist eine sehr reizvolle Komposition geworden. Der Titel pendelt zwischen Romantik und leichter Melancholie. Die erzählte Geschichte ist gut nachvollziehbar „“ jeder der über zwanzig ist, kennt solch eine Situation.

Weil der Song „UND SONST SO“, vom Stil und Arrangement her ziemlich ähnlich klingt wie „Ich bin dabei“, aber die Originalität der Melodie dagegen abfällt, wäre dieser Song trotz der nicht uninteressanten Story auf dieser CD für mich wirklich verzichtbar.

Vielleicht sollte Roger Cicero doch ab und zu ein gutes Cover integrieren. Mit jedem seiner bisherigen Cover (Wenn ich den Blues nicht hätt“™, König von Deutschland, Tausendmal berührt, Männer, Schieß mich doch zum Mond, der Prince Song: How come U Don“™t call me anymore) hat Roger Cicero musikalische Souveränität gezeigt und seine stimmliche Bandbreite mit Virtuosität bravourös durchgesetzt. Seine Covers wirken authentisch. Erst wenn die Komposition stimmt „“ also mit wirklich interessanten Songs – kann ein guter Sänger sich immer am besten künstlerisch entfalten.

Wenn ich dann einen Song wie „SEINE RUHE“ höre, denke ich „“ schön, stark rhythmusbetont, hört sich nicht schlecht an. Aber war „Experiment“ ( auf „Beziehungsweise“) nicht recht ähnlich, aber einfach besser? Also auch hier könnte ich mir ersatzweise ein starkes Cover vorstellen.

Der für mich schwächste Titel der CD „BOUtIQUE“ fällt mir jetzt logischerweise ein. Auch wenn Matthias „Matze“ Meusel durchgehend ein wunderbar prägnanter Drummer ist und dem Song etwas Profil gibt, – spätestens beim Refrain ist Roger Cicero mitten im gefälligen, deutschen Schlager angekommen. Das klingt wie die besseren Schlager von Udo Jürgens aus den Siebzigern: „Ein ehrenwertes Haus“ oder „Aber bitte mich Sahne“. Nichts gegen Udo Jürgens – aber er singt und tourt immer noch sehr erfolgreich und ich möchte diese Art von Musik wirklich nicht von Roger Cicero hören! „Alle Möbel verrückt“ kam zwar auch in diese Schlagernähe, war aber bei weitem spannender und hatte einen besseren Drive.

Ich weiß, was Cicero kann, z. B. auch im Jazzbereich! Da tut es mir leid – aber „BOUTIQUE“ finde ich absolut „nicht artgerecht“ für ihn. Dazu kommt noch ein unprickelnder, banaler Text alá „Mario-Barth-Unterhaltungsniveau“, den das Album mit seinen anderen Texten erfreulicherweise meidet. In so fern passt bei „Boutique“ alles fein zusammen. Man kann den Song bestenfalls „nett“ aber eher verzichtbar finden. Ein Roger Cicero, der sich mit seiner Musik mehr und mehr zum Schlager oder Pop hin bewegen würde, könnte nicht mehr mein andauerndes Interesse wecken.

Ein starker, berührender Song, der vom Inhalt her besonders Frauen interessieren könnte, (obwohl er ganz aus männlicher Sicht erzählt wird) ist die Ballade „TABU“. Ich habe „Artgerecht“ häufig über Kopfhörer gehört. Bei „Tabu“ hört man gut, wie groß Cicero“™s Stimmumfang ist. Er beginnt den Song ungewöhnlich tief und da hinterlässt seine Stimme einen anderen, sehr sensitiven und nahen Eindruck. Der Song steigert sich dramatisch und geht in einzelnen Noten sehr hoch, wobei seine Stimme dann auch die nötige Härte bekommt. Die Aufnahme ist, wie übrigens das ganze Album, hervorragend aufgenommen. Cicero klingt, als ob er direkt vor einem stünde. Verstärkend dazu kommt seine kristallklare, aber immer natürliche Artikulation der Worte. Natürlich „schreit“ dieser Song sozusagen nach einem Saxophon-Solo – und wer könnte das besser spielen als der fantastische Stephan Abel.

Cicero sagte, er habe sich mit diesem Album in jeder Hinsicht ausgetobt. Da ist was dran. Wenn Cicero sich zum Beispiel bei „TABU“ gefühlsmäßig „austobt“, so macht er das rein rhythmisch gesehen bei „Hinterm Steuer“ mindestens ebenso gut! Und seine „fantastische Big-Band“ ist ihm da absolut ebenbürtig. Band und Sänger scheinen sich im Jazzgalopp gegenseitig zu überholen. Der Titel macht ungeheuer Spaß – auch textlich! Bewunderungswürdig ist, wie Roger im rasendem Tempo gesanglich den rüden Text meistert.

Mit den drei noch nicht besprochenen Songs ( „Zu schön um nett zu sein“, „Das ist nicht das, wonach es aussieht“ und „Internet Single Börse“) kommt Roger zurück zu seinem bewährten Swingsound. Schließlich will er die Fans der ersten Stunde nicht verprellen. Es sind frische temperamentvolle Songs, mit wunderbaren, teilweise vor Temperament berstenden Arrangements und wie immer bestens aufgelegter Band.

„ZU SCHÖN UM NETT ZU SEIN“ behandelt das Thema der umschwärmten, scheinbar perfekten Frau. Was sich hinter ihrer Fassade unglückseligerweise manchmal verbergen kann, wird in diesem Song swingend von Roger offen gelegt. Er nimmt den Bewunderern solcher Frauen die Illusion und hält der Urheberin seiner Frustration den Spiegel vor die Nase. Männer müssen inzwischen oft heftige Kritik von der emanzipierten Frauenwelt einstecken, („Emmas“ Pascha des Monats, usw..), warum nicht mal umgekehrt auf diese heitere Weise:
“ Sie war zu hoch zu Ross zum Pferde stehlen“ oder “ Sie war zu hübsch um Spass zu haben“..? Noch einmal wunderbarer Swing im Basie-Sound mit einem prima Trompetensolo von Axel Beineke.

Ganz heißer Swing begeistert mich bei „DAS IST NICHT DAS WONACH ES AUSSIEHT“. Hocherhitzte Bläser, Thomas Zander“™s Bariton-Alto, Matze Meusels unerschütterlicher Drummer-Drive, und eine Percussions-Prise Motown bilden hier eine atemberaubende Fusion. Einfach ein swingendes Highlight, bei dem auch der Text mit herrlicher Situationskomik wie in einem Film abläuft.

„INTERNET SINGLE BÖRSE“ behandelt ein Thema welches immer stärker unser aller Leben beeinflusst und manchmal schon fast lenkt. Auch hier behandelt der Text die im Netz kursierenden „Lügengebilde“ humorvoll, aber dahinter steckt doch viel Ernst und auch Traurigkeit – näher besehen. Ein lässig-eleganter Swingtitel, perfekt arrangiert. Roger“™s Stimme, mit jeder kleinsten Phrasierung, ist wie gemacht für solche Arrangements. Alles stimmt! Mit solchen Titeln ist ER unzweifelhaft der Meister. Das kommt so erstklassig: Die Endorphinschübe sind gesichert !

Die abwechselungsreichen 14 Songs wurden auf der CD gut durchmischt. Die musikalische Vielfalt ist auffällig- besonders, wenn die CD in einem Durchlauf gehört wird. Wenn da manche Stimmen „kritisch“ behaupten, dieses Album wäre bereits Cicero“™s dritter „Aufguss“,
liegt so ein negatives Urteil eher an mangelnder Konzentration und Desinteresse. Ich mag den Ausdruck „Aufguss“ nicht, er ist sehr oberflächlich, und kommt immer so praktisch daher, wenn man ihn gerade gebrauchen kann, und wenn man sich nicht mit dem Gegenstand auseinandersetzen will. Das hört sich dann so an, als hätten Musiker und Sänger schnell und lieblos etwas „dahingerotzt“. Aber so einfach geht das nicht.

Ohne vergleichen zu wollen: Ein Sänger wie Frank Sinatra ist vierzig Jahre lang seiner Musik treu geblieben – und galt trotzdem als vielseitiger Entertainer in seinem Genre. Bach hat in seiner Musik, seinen Passionen oder Oratorien immer wieder die gleichen oder ähnlichen Choräle verwandt, kein Mensch würde da sagen: wieder ein Aufguss. Heute werden ständig von den Künstlern „Innovation“ und „Überraschungsbonusse“ verlangt. Ich bin zufrieden, wenn ein Künstler seine Arbeit variiert und sein Niveau hält.

Auf „Artgerecht“ unternimmt Roger Cicero neben Swing & Jazzverwandtem eben Ausflüge in musikalische Regionen, die ihn von Jugend auf begeisterten, oder inspirierten: Soul, Funk, Motown. Das ist spannungsreich und größtenteils schafft er das ziemlich gut, weil er natürlich die großen Vorbilder und die musikalischen Eigenarten des Soul kennt. Nicht zuletzt auch, weil er einfach ein guter variabler Sänger ist. Aber als Jazzsänger überzeugt mich Roger Cicero mehr – ich meine: der Jazz passt besser zu ihm. Das hat auch mit seiner Stimme zu tun, die bestechend klar und „sauber“ ist. Im Grunde hat seine Stimme für Soul und seine musikalische Tradition nicht die richtige aufgerauhte oder „schmutzige“ Klangfarbe.

Bei Rogers deutschsprachigen Swingaufnahmen sind Big-Band und Stil des Arrangements zudem ein unverkennbares Instrumentarium, welches automatisch die Musik als „Swing“ identifizierbar macht. Beim Soul & Funk ist die Begleitung nicht mehr so eindeutig, sondern vielschichtiger, schwieriger zu gestalten. Anders als beim Swing kommt beim Soulgesang auch die deutsche Sprache weniger stimmig rüber. Da haben wir doch eher Probleme, das automatisch als Soul anzunehmen. Das hat auch mit unseren Hörgewohnheiten zu tun. Vielleicht ist Roger da wieder ein Vorläufer, denn was den Funk angeht, trifft „Spontis zeugen Banker“ voll ins „Schwarze“.

„Artgerecht“ ist bis auf wenige Ausnahmen vielfarbig, interessant und spannungsreich – für den Künstler sein bestes Album „“ für mich wäre sein „Bestes“ noch eher die streng ausgewählte Essenz all seiner Alben, inklusive seiner Covers.
© Text Werner Matrisch, (Roger Cicero CD erschienen 3. April 2009)

PS: Weil ich weiß, dass nicht nur Roger Cicero sondern auch sein Texter Frank Ramond “ polarisiert“,
( das geht von: sehr gut bis schrecklich „) hier noch ein Satz dazu:

Natürlich kann man die Songtexte im einzelnem diskutieren, und sie
sozusagen Wort für Wort auf die Goldwaage legen. Von Kritikern wird immer wieder bemängelt,
dass Ramond so oft nur „Klischees bemüht“

Dieses Argument hat mittlerweile für mich nur noch hohle „Schlagwortqualität „.
Warum gibt es überhaupt „Klischees“ – nicht gerade deshalb, weil sie eben doch nur zu oft Teile von
Wahrheit oder Realität in sich tragen.
Jeder weiß sofort, was gemeint ist – jeder erkennt sich oder andere unmissverständlich.

Frank Ramond würde von sich niemals behaupten, dass seine Texte die Aussagekraft und
„Überlebensqualität“ von Brecht, Rilke oder Tucholsky hätten.
Wer diese Qualität sucht, soll in die Buchhandlung gehen.

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Die JAZZ CD/DVD- und Konzert Rezensionen von Werner Matrisch sind ein besonderes schöne Rubrik. Jazzie traf den Kölner Maler und Künstler Werner Matrisch "Homepage WernerMatrisch" bei einer Vernissage. Wir kamen ins Gespräch und entdeckten, das wir nicht nur eine gemeinsame Leidenschaft, die Malerei haben, sondern auch dem Jazz sehr zugetan sind.