Am 14 März 2012 hatte Cicero seinen letzten großen Auftritt in der Kölner Lanxess-Arena. Ein neues Album erschien dann im März 2014, und zur Zeit läuft seine neue Konzerttour. In einigen Städten ist Gregor Meyle im halbstündigen Vorprogramm – so auch im gestrigen Kölner Konzert (8.10.2014).
In Erinnerung an „Männersachen“ – Ciceros Durchbruch zur deutschen Musikszene im Jahre 2006 – ist es unzweifelhaft neben seinem Swinggespür und der markanten Stimme auch immer der Humor gewesen, welcher das Publikum in seine Konzerte zog. Ein Cicero-Konzert war immer ein Garant für ausgelassene „Gute-Laune-Musik“, was der Swing im Allgemeinen ja auch ist, aber besonders dann, wenn er so meisterhaft von großartigen Musikern und einem inzwischen charismatischen Frontmann, bzw. vielseitigem Entertainer, vorgestellt wird.
Daran hat sich auch im neuesten Konzertprogramm nichts geändert, obwohl doch sein aktuelles Album nachdrücklich viel besinnliche und nachdenklich-kontemplative Töne anschlägt. Im Vorfeld konnte man dazu reichlich Interviews lesen, die von Ciceros neuer Lebenssituation und neuen Bewusstseinsphasen handelten. Konkret findet der geneigte Hörer oder Cicerofan dann diese neu erworben Erkenntnisse in originellen, authentisch wirkenden Texten der neuen Songs wieder.
Aber Roger Cicero – wissend – dass zu viel Ernstes, Trauriges, Tiefgründiges hintereinander gehört, große Konzentration erforderlich macht – jedoch durch Themen-Gleichförmigkeit, die Wirkung auch verfehlen kann, hat im neuen Programm Ernstes immer wieder mit Heiterkeit, Spannung, überbordendem Rhythmus und nicht zuletzt durch seine bekannt dynamische Performance sehr kurzweilig und auch effektvoll durchmischt. Also keine intellektuelle Überforderung – statt dessen musikalische Kontraste.
Effektvoll waren und sind auch immer die instrumentalen, sich langsam steigernden Intros der Big Band, die Cicero einen gebührend imposanten Auftritt des Abends bescheren. Mit dem ersten neuen Song „Glück ist leicht“ hat das Konzert bereits einen highlight-mässigen Start. Zu Beginn intoniert Roger in tiefer Tonlage rhythmisch moderat – aber dann kommt beim Refrain mit lautem, poppigen Drive und einem schönen Flügelhorn-Soli von Dirk Lentschat die starke Song-Intensivierung. Ein fantastischer Song, der auch auf der neuen CD mit zu den besten gehört.
„Hollywood“, „Endlich wieder frei“, „Frag nicht wohin“ – das sind die tiefsinnigen, bedeutsamen Balladen der neuen CD, die jetzt durch Ciceros Stimme und durch die sorgfältig arrangierte Neubearbeitung in der Live-Performance und durch die Soli („Hollywood“: Daniel Coburger Saxophon, und bei „Endlich wieder frei“: Uwe Granitza, Posaune) zu einem suggestiven Klangerlebnis mit Jazzballaden-Touch werden. Das wirkt viel intensiver und berührender als auf CD. Die Stimme Ciceros – live gehört – klingt immer hautnäher, bezwingender als bei der oftmals etwas sehr zeitgemäß-radiotauglichen Soundabmischung einer CD.
Als Quintessenz der vorangegangenen Stücke kann man die Aussage des später folgenden Songs „Was immer auch kommt“ bestimmen. Dieser Song war der Letzte, der für das neue Album geschrieben wurde. Weil er daherkommt wie eine kommentierte Gesamtaussage, gar „Gesamterkenntnis“ für alle Songs, wurde er sogar als Titel für die neue Cicero-CD gewählt.
„Was immer auch kommt“ bekam ein komplett neues Arrangement, der Song unterscheidet sich von allen neuen Songs hier am stärksten zur Album-Version. In der klanglichen Reduzierung offenbart sich eine Veredelung des ohnehin sehr guten Songs. Roger nimmt sich die Gitarre, setzt sich auf die obersten Stufen der rechts auf der Bühne angelegten Treppe und beginnt ganz schlicht zu singen – mit klarster Stimme, die nicht einen einzigen Buchstaben vermissen lässt. Intimer geht es nicht, und die 3000 Besucher in der Arena lauschen gebannt. Später gesellt sich Maik Schott mit sanften Keyboard-Klängen dazu und Detlef Raschke vervollständigt mit der Querflöte diese handgemachte akustische Kostbarkeit.
Immer wenn Roger Cicero in seinen Konzerten zur Gitarre greift, – geschieht etwas Besonderes. Man fühlt als auf den Künstler aufmerksam fokussierter Besucher ganz deutlich, dass der jetzt interpretierte Song mit viel Überlegung und persönlichem Anliegen von Roger Cicero ausgewählt wurde. Bei der letzten Tour „In diesem Moment“, brachte er mit Gitarre den furiosen Sting-Cover „I was brought to my senses“ und eine neue Bearbeitung von „Fachmann in Sachen Anna“ .
Jetzt sang er zur Gitarre die Ballade „Frag nicht wohin“. Das fragile Lied von Trennung und der Liebe zum eigenen Kind klingt sehr persönlich, warm und innig – vielleicht sogar herzzerbrechend, wenn man gewillt ist, diese persönliche Problematik mit aller Intensität nachzuempfinden. Nicht weniger eindringlich ist jedes Mal seine von laserlicht-umstrahlte Performance „In diesem Moment“. Auch dieses Mal konnte er innerhalb einer Ballade mit subtilen und stimmgewaltigen Klängen sein Publikum absolut verzaubern. An den nicht enden wollenden Applaus sind Künstler und Band sicher inzwischen gewöhnt. Der Song ist bereits ein sogenannter Signatur-Song und ein Höhepunkt jeden Konzerts.
Direkt nach „Frag nicht wohin“, will Cicero aber das Publikum nicht in so ernster Stimmung verharren lassen. Es knallt los mit „Frauen regier’n die Welt“. Auch hier wurde das zuvor luftig und lustig swingende Arrangement verändert. Das gesamte Klangbild dieses Cicero-Schlagers wurde vom unbeschwerten Swing nun mit dunkel-dynamisch pulsierenden Jazzrhythmen aufpoliert, und Rogers Phrasierung ist freier und lässiger. Das klang sehr viel jazziger als alle früheren Versionen und erhielt zusätzlichen Drive durch den deftig-satten Klang des Altsaxophons, gespielt von Thomas Zander. In ähnlicher Weise wurde auch mit Ciceros erstem Signatur-Song „Zieh die Schuh aus“ verfahren. Auch der klang jetzt deutlich „jazzig-gewichtig“. Vielleicht gibt es Fans, denen die alten Versionen besser gefallen – für mich hat es gepasst, sogar bestens!
Belassen in alter Form hat Cicero dagegen seine rasante, mordsschnelle Version von „Bluesette“ (Wenn ich den Blues nicht hätt‘). Die war und ist sowieso derart jazzig – ein „noch mehr“ wäre zu viel des Guten! Hier glänzte Mattias Meusel in Köln mit einem sogar auffallend gutem Drum-Solo, was etwas heißt bei dem Mann! Benny Brown, jüngstes Mitglied der fantastischen Big Band, blies ein heftiges, hellklingendes Trompetensolo und aus Rogers Kehle wirbelten in bunten Klangfarben die Scat-Vokale wie Herbstlaub in einem Hurrikan.
Unfassbares Tempo hatte auch der Song aus dem Album „Artgerecht“: „Das ist nicht das, wonach es aussieht“. Hier ist die gesamte Big Band im Dauereinsatz. Halsbrecherisch schnell muss der durch und durch amüsante Text bewältigt werden. Rastlosigkeit und Furiosität sind das Prinzip dieses Songs. Um dann überhaupt noch eine Steigerung zu erzielen, dazu bedarf es eines Ulrich Rode. Sein E-Gitarren Solo war exorbitant, und dies wegen seiner Virtuosität – obwohl die Lautstärke auch was hatte!
Gegen Ende des Konzerts wurde bereits im vorderen Bereich an der Bühne abgetanzt und jede Note mitgeklatscht. Roger hatte längst die Leute aufgefordert, nach vorne zu kommen. Auf das funkige „Spontis zeugen Banker“ folgten das ebenso vorwärts treibende“Wenn es morgen schon zu Ende wär“- (die erste Single der neuen CD). Direkt im Anschluss erreichte die allgemeine Stimmung mit dem aufpeitschenden „Dauer-Total-Groove“ von „Murphys Gesetz“ einen euphorisierenden Höhepunkt. Das war der Moment, wo der Sänger zur energiegeladenen „Rampensau“ mutierte und sich zunehmend kleine Schweißperlen auf der Stirn bildeten. Band und Sänger sind pures, musikalisches Dynamit. Bei Cicero sitzt auch jetzt noch jeder Ton an der richtigen Stelle – inklusive Nebenbeschäftigungen wie Hände schütteln, Blumen entgegen nehmen, oder begeisterten Frauen ein gezieltes Lächeln zuzuwerfen.
Das war’s dann -Ende der Vorstellung. Ende? Natürlich nicht. Nach unausgesetzten Zugabe-Rufen kehren die Musiker zurück an ihren Platz. Dann steht Cicero hoch oben auf der Treppe und intoniert
seine erste, ganz große Ballade von 2006 „Ich atme ein“. Das Arrangement wurde nicht verändert. Ein wunderbares Saxophon-Solo von Ulli Orth erhöht Spannung und Dynamik des Songs. Kraftvoll ertönt die Cicero-Stimme – die diesen Song um verlorene Liebe schon immer hymnisch erstrahlen lies. Diesmal, am 8. Oktober in Köln war es nicht anders.
Man hört einfach zu und denkt :DIESE STIMME !
Der absolute Rausschmeißer war dann die aktuelle Single „Du bist mein Sommer“ Ein fröhlicher Popsong mit viel Drive und Power.
Es ist etwas ungerecht, wenn man nach so einem Konzert sagt, ein echter „Wow-Effekt“ war nicht dabei, weil neben soviel gut bekannten Songs kein echter „Überraschungssong“ wie ein Prince- und Sting-Cover fehlten. Eben Songs, die man von Roger nicht kannte – die vorher auf keiner CD veröffentlicht waren.
Die vorherigen Konzertprogramme offerierten immer solche Überraschungen. „Geboren“ von den Fantastischen Vier oder auch Ciceros umwerfend swingende Version „Männer“ von Grönemeyer, waren solche „Wow-Effekte“. Insofern kann man auch nicht sagen, dass dieses neue Programm vielseitiger wäre als die vorherigen – was Roger Cicero aber so ankündigt. Ich hätte wenigsten ein, zwei ganz neue Songs – außer denen der neuen CD, die wir alle schon besten kennen – sehr begrüßt.
Dennoch war dieses Konzert absolut gelungen, was an der Meisterschaft der ausübenden Künstler liegt. Fazit: Roger Cicero und seine fantastische Big Band – sie können live einfach keine schlechte Musik machen. Bisher jedenfalls nicht und dafür verbürge ich mich.
© Werner Matrisch, Köln, 10. Oktober 2014