Roger’s mood for Jazz….. Roger Cicero in Mr. M’s JAZZCLUB Baden Baden 9.9. 2010
Vor knapp 3 Jahren ( Dezember 2007) konnte ich Roger Cicero nach einigen Konzerten mit seinen deutschsprachigen Swingtiteln und seiner wunderbaren Big Band zum ersten Male auch live als reinen Jazzsänger „“ begleitet von nur vier Musikern – erleben. Meine erste CD von Cicero (After Hours – There I Go, 1995) hatte mich total überrascht und enthielt eben genau diese Songs, die ich dann später in einem faszinierendem Konzert mit den gleichen Musikern in Hannover erleben sollte. „There I Go“, dieses glänzende, an einem einzigen Tag eingespielt Jazzalbum, brachte den Stein des „Überzeugten-Fan-Seins“ dieser Formation und vor allem dieses Sängers ins rollen…..
Sofort schrieb ich geradezu euphorisiert eine User-Rezension bei Amazon über Cicero: „Deutschland hatte zu keiner Zeit einen besseren Sänger“. Heute würde ich das etwas eingrenzen, den Begriff: „Bester“ streichen und statt dessen sagen: Deutschland hatte zu keiner Zeit einen“musikalischeren“ Sänger als Cicero. Bei dieser „strikt subjektiven“ Meinung bleibe ich auch 2010, eingedenk der Vielseitigkeit von Cicero. Er besitzt inzwischen eine künstlerische Vielseitigkeit die nicht nur wegen seiner eigenen, stilistisch breitgefächerten Titel „“ sondern auch wegen seiner absolut souveränen Jazzaufnahmen und besonders seiner bestechend eigenständigen Coverversionen von Prince, Grönemeyer, Den Fantastischen Vier oder Klaus Lage, unwiderlegbar ist.
Mit textcleveren, deutschsprachigem Swing, Pop, Blues oder Balladen hat er seit der CD „Männersachen“ (2006) anhaltenden Erfolg. Er tritt in großen Konzerthallen auf und seine „reinen“ Jazzkonzerte sind etwas rar geworden. Als ich die Ankündigung seines Konzerts im Baden Badener Mr. M’s JAZZCLUB sah, setzte ich spontan alles daran, diesem Konzert beizuwohnen.
Der Bénazet-Saal des Baden Badener Kurhauses besitzt natürlich ein exklusiveres Ambiente als der Ballhof-Jazzclub in Hannover. Weniger intim, dafür elegant-gediegen, mit gedeckten Tischen und stimmungsvollem Kerzenlicht. Gleich vorweg bekenne ich auch, dass ich das Hannoveraner Konzert insgesamt hautnaher und intensiver erlebt habe, was aber weniger mit der Qualität der musizierenden Künstler zu tun hat. Denn die war von gleicher Güte. Pluspunkte bekommt das Ballhof-Konzert von mir selbstverständlich jedoch wegen des Mitwirkens von Saxophonist Stephan Abel, der mit seinem Spiel besonders die expressiven Momente des Konzerts mitbestimmte oder förderte. Stephan Abel war leider in Baden Baden nicht dabei. Andererseits war aber auch die sparsamere Begleitung in Baden Baden reizvoll „“ zudem es lange instrumentale Parts oder Soli in jedem Song gab.
Um Punkt 20 Uhr eröffnete Marc Marshall, Gründer des Mr. M’s JAZZCLUB’s und Veranstalter dieses Baden Badener Jazzwochenendes das Konzert. In einer kurzen Rede stellte er Roger Cicero als Jazzsänger von Weltklassenformat vor. Pianist & Arrangeur Lutz Krajenski, Drummer Matthias „Maze“ Meusel und Bassist Hervé Jeanne – alle seine musikalischen Mitstreiter seit Jahren – kamen auf die Bühne. Dann Roger Cicero. Er erzählte, dass ihm und seinen Musikern diese kleine Pause von den augenblicklichen Sat 1- Aufzeichnungen der “ Hitgiganten“ (die er 6 x moderiert und mit Liveautritten bestückt), ganz gut gefallen würde.
Cicero erklärte, dass es in diesem Konzert nur um Jazz ginge und fragte dann, ob jemand „Zieh die Schuh aus“ hören wolle.. Aus dem Publikum ertönte ein “ ja“. Laute Lacher im Saal. Ich rief laut “ nein“. Roger wies dann auf die rechts und links von der Bühne angebrachten Logos „Mr. M’s JAZZCLUB“ und betonte nochmals, sie wären hier um wirklich NUR JAZZ zu spielen, und wer wolle, könne jetzt noch ins Kino gehen ! Cool war das!
Das Konzert begann mit dem ebenso schönen wie maßvoll swingenden Standard „No Moon At All“. Auch wenn im weiteren Verlauf des Konzerts im wesentlichen fast alle, mir gut bekannten Titel des Albums „There I Go“ gespielt wurden, so war schon erstaunlich, wie Cicero unablässig und dabei auf natürlichste Weise „“ ohne Manierismen – jeden Song anders als vorher gehört – variierte, improvisierte und ihn so in neuem Licht und Sound erklingen lies. Abgesehen davon, dass Cicero’s rein technisches Können als (Jazz) – Sänger formidabel ist, sind auch seine interpretatorischen Feinheiten zu den Inhalten der Songs überzeugend. Als gutes Beispiel dafür würde ich seine Version des Nancy Wilson Klassikers „Save Your Love For Me“ anführen, die er ungeheuer differenziert vortrug. In diesem Stück – sicher eines der Highlights des Abends – vereinigte sich beeindruckend die klangliche Vielfarbigkeit seiner Stimme mit Dynamik, Spannung und Emotion zu einer wunderbaren, berührenden Vorstellung.
Der rhythmisch schnelle Song „Bluesette“ wurde in Baden Baden in einer noch stärker beschleunigten und mitreißenden Version gebracht. Maze Meusel führte mit seinem Solo dieses Tempo zunächst weiter, um dann später kreativ sein Spiel abzuwandeln.
Unzweifelhaft ein anderes Glanzstück des Abends war “ My Favorite Things“. Diese ursprünglich eher liebliche Musicalkomposition aus „The Sound Of Music“ haben sich schon seit den 60er Jahren viele Jazzkünstler vorgenommen. Im Arrangement von „After Hours“ glänzt der Song schräg und modernistisch. Hier nutzt Roger Cicero wirklich alle Möglichkeiten, total frei und mit ausgedehntem Scatgesang zu brillieren. Was er hier mit seiner Stimme macht, wie variationsreich er sich rauschhaft durch die Tonleitern windet, das ist Weltklasse und zeugt außerdem von seiner Freude und der totalen Hingabe des Singens. Da es ihm selber so große Freude macht, gelingt es ihm so gut und überzeugt und erfreut auch die Zuhörenden im hohen Maße.
Eine interessante Besonderheit hatte „My Favorite Things“ außerdem: Das lange Solo von Lutz Krajenski. Hier zeigte sich der sonst gerne kraftvoll und vital in die Tasten greifende Pianist von einer mir noch unbekannten Seite. In zarter, leicht meditativer Versunkenheit erklang sein Klavierspiel. Sensibel, klar und auch phantasievoll verspielt, entstand eine poetisch-pastorale Atmosphäre. Dieser von Lutz Krajenski geschaffene Musikteil – gleichsam einem Kleinod – hatte seine eigene Qualität und wirkte wie ein „Extra-Konzert“ im Konzert.
Des öfteren machte Krajenski in seiner Begleitung an diesem Abend übrigens leichte, spontane Schlenker in klassisch anmutende Gefilde, die große Heiterkeit bei Cicero auslösten. Überhaupt versprühte das kleine Ensemble gute Laune und viel Freude am Spiel. Auch hinter der meistens eher ernsten oder konzentrierten Miene des Bassisten Hervé Jeanne, der mit faszinierender Sicherheit sein Instrument beherrscht – es wie ein geliebtes Kind behandelt – war an diesem Abend eine schöne Entspanntheit bei seinem Solo zu spüren. Ich empfinde eine große Übereinstimmung unter den vier Künstlern -allerdings weiß Roger Cicero auch seine Musiker zu motivieren, indem er sich ihnen während ihrer Soli direkt zuwendet, mit den Fingern schnippt und mit seinen Körper den Rhythmus betont.
Im weiteren Verlauf des Konzerts wurden auch der Beatles-Song „I Wanna Hold Your Hand“, in Cicero’s eigener Bearbeitung und „Moody’s Mood For Love“ gespielt. Letzterer Song wurde vorher von Cicero ausführlich als Eddie JeffersonTitel erklärt und stellte in sofern eine kleine sängerische Herausforderung für Roger dar, weil der Song eigentlich ein Duett ist und er nun den männlichen UND den weiblichen Part singen musste. Hier kam seine bestens beherrschte Kopfstimme zum Einsatz. Eindrucksvoll war bei dem Song abermals eine lange Scatpassage, die Cicero aber erstmal völlig anders anging als bei „My Favorite Things“. Er intonierte lange Zeit in den tieferen Tonlagen „“ sein Scat klang jetzt sanfter und melodischer. Natürlich kam der Knalleffekt seiner Energieausbrüche später um so heftiger.
Hier zeigte sich wieder Cicero’s Riesentalent für den Scatgesang, der immer wieder in furiosen Höchstleistungen gipfelt und eine atemberaubende Darstellung seiner Improvisationskunst ist. Da ich Cicero gut genug mit seinen deutschsprachigen CDs kenne, bin ich immer wieder überrascht, wie ganz anders er als „Jazzvokalist“ klingt. Sicher sollte ich es nicht schreiben „“ und sicher sieht es
Cicero selber ganz anders „“ aber wie sehr ich auch den deutsch-swingenden oder pop-soul-begabten Roger Cicero mag – für mich persönlich erlebe ich den „Jazz-Cicero“ als den „wahren“ Cicero. Im Jazzgesang lebt er seine ganze musikalische Kreativität – im Jazz erstrahlt seine sängerische Ausdrucksscala zum virtuosem Feuerwerk. Diese Musik ist komplexer, anspruchsvoller, interessanter und künstlerischer als Mainstream. Aber alles zu seiner Zeit. Es ist gut, dass es so viele unterschiedliche Musikrichtungen gibt. Wenn Roger und seine Big Band schwungvoll „Die Liste“ erklingen lassen, reißt es mich jedes Mal wieder mit.
Um 21:15 erklärte Roger, sie hätten jetzt schon etwas zu lange gespielt und der letzte Titel „Red Top“ käme nun. Die dynamisch-rhythmische Nummer wurde begeistert mitgeklatscht. Dann verneigte sich die Jazzcrew bei stürmischem Applaus. Es war keine Frage, dass sie um eine Zugabe nicht herum kamen. Ich hatte mich inzwischen von meinem Tisch 27 erhoben und mich seitlich neben die Bühne gestellt um die letzten Songs hautnäher zu erleben. .
Unter Jubel erschienen die Musiker erneut auf der Bühne und ließen fetzig einen langen „A-Train“ abfahren…. Das war Jazz vom Feinsten. Wieder Riesenapplaus und der Ruf nach Zugabe. Roger winkte Marc Marshall zu sich heran und sagte, dass sie nun zusammen ein Duett singen würden. „Smile“ sollte es sein „“ und der Song wäre von Charlie Chaplin „“ ja, der hätte auch Songs geschrieben, was nicht Jeder wüsste. Aber als der Evergreen erklang, erkannten sicher Viele sofort die träumerisch-wehmütige Melodie. Marc und Roger machten eine schöne Vorstellung, wobei Roger sehr zurück genommen sang.
Kleine Notiz am Rande: Ich trug an diesem Abend eine Krawatte „“ was selten geschieht –
Auf der Krawatte sind kleine Bilder von Charlie Chaplin eingewebt.
Nachdem ich Chaplins große Autobiographie gelesen hatte, wurde ich zum Chaplin-Verehrer und hatte dann später diese Chaplin-Krawatte bei Ebay ersteigert.
Als die Musiker sich verneigten und dann die Bühne verließen, glaubte ich nicht daran, dass sie noch einmal kommen würden. Aber der Beifall war derart laut, riesig und anhaltend „“ sie mussten sich einfach noch einmal zeigen.
Tatsächlich kamen sie wieder auf die Bühne zurück, und dann brachten sie als wirklich letzte und dritte Zugabe Cicero’s fulminante Coverversion vom Prince-Song: “ How Come U Don’t Call Me Anymore“. Hier konnte sich Roger in allen Tonarten als dynamischer Soulsänger präsentieren. Die Nummer ist schon lange seine Königs-Disziplin und der Knaller in Livekonzerten. Alle gesanglichen Register werden hier gezogen, von Kopfstimme zum Kreischen oder Quietschen, sirenenartige Klänge wechseln mit stahlharten, hochexplosiven lauten Tönen oder ganz leisen, extrem lang gehaltenen Noten. Der große Stimmumfang von Cicero ist allgegenwärtig.
Normalerweise wird nach einem Song applaudiert, oder nach dem Solo eines Musikers innerhalb des Songs. Hier aber gab es kein Solo „“ Roger sang sich mit unglaublicher Intensität durch den Song, indem mir völlig neue, so noch nicht gehörte Melodienläufe auffielen. Im zweiten Teil des Songs wurde seine Performance derart expressiv, dass heftiger Applaus, Pfiffe und Rufe aus dem Publikum aufbrausten, bevor der Song überhaupt zu ende war.
Dann war wirklich Schluss. Noch immer lautes Klatschen, welches dann langsam verebbte. Nach dieser Nummer war klar, dass jetzt nichts mehr kommen konnte. Roger und sein drei Musiker waren auch schnell verschwunden. Während des Prince-Songs hatte ich ganz vorne vor den ersten Tischen auf dem Fußboden gesessen. Ich konnte nicht mehr zurück an meinen Tisch, aber auch
nicht vor den Menschen stehen bleiben und ihnen die Sicht nehmen. Ich hoffe, die Musiker fanden mich jetzt nicht total durchgeknallt.
Mir ist klar, dass diese Konzertbesprechung eine „Jubelhymne“ ist, die ich so kaum in einer Zeitschrift veröffentlichen würde. Es fehlt doch jede Distanz ! So würde kopfschüttelnd argumentiert. Dies ist zwar eine “ Fankritik“, aber ich denke, dass ich trotzdem kritisch hinhören kann. Ich begründe mein Lob und meine positiven Beurteilungen. Jeder kann gegenteilige Argumente dazu anbringen. Ich gebe zu, dass ich dem Jazzvokalisten Roger Cicero stundenlang zuhören könnte.
PS. Das 1995er Album „Roger Cicero & After Hours – There I Go“ steht bei Amazon ( heutiger Stand) auf Platz 80 unter Vocal Jazz. Das ist ein recht schöner Erfolg wenn man an die Riesenmenge von Neuerscheinungen auch im Vocal Jazz denkt und deren Bewerbung. Immerhin ist das Album schon fünf Jahre alt. Ich habe es bereits 4 x im Original verschenkt. Zwei Exemplare stehe noch eingeschweißt bei mir im Regal. Standing Ovations in Mr. M’s JAZZCLUB