Köln – UM ZU WACHSEN MUSST DU MANCHMAL AUCH VERLIEREN. Roger Cicero Doppel Album CD „GLÜCK IST LEICHT“ erschienen am 17. März 2017.
Obige Textzeile aus dem Titelsong des aktuellen „Best of“ – beziehungsweise musikalischem Nachlass-Album lässt mich nachsinnen, wie und was mit Roger Cicero passiert ist. Dass er im Verlaufe seiner Karriere „gewachsen“ ist steht außer Frage.
Alle Roger-Cicero-Alben (9) (seit 2005 bis 2015) beweisen seine stilistische Vielfalt. Unterschiedlichste Musik und Songs – egal ob es sich dabei um Swing, Deutsch-Pop, Balladen, Soul, Jazz oder wie zuletzt dem „Great American Songbook“ handelte – interpretierte er swingend, gefühlvoll oder dynamisch – aber immer passioniert mit der breiten Klangscala seiner unverwechselbaren Stimme.
In seinem letzten Jahr hatte er drei völlig unterschiedliche Konzertprogramme inszeniert, absolviert, live bestritten – und in wenigen Monaten drei komplette Alben eingespielt, war dann nach einem Zusammenbruch bereits bald wieder auf der Bühne. Verloren hat er dabei letztendlich, obwohl es wohl unergründlich bleibt, welche Faktoren insgesamt zu seinem schicksalshaften Tod (24.3.2016) – einem Hirninfarkt – geführt haben. Das „Warum gerade er “ wird immer im Raum stehen.
Gemessen an Ciceros Vielseitigkeit kann die neue CD – auch trotz der fabelhaften Livetitel – natürlich nicht komplett all seine Leistungen von musikalisch bedeutsamen Musikstücken berücksichtigen. Auf jeden Fall aber ist „Glück ist leicht“ eine gelungene, wunderschöne Zusammenstellung, zumal ich den Titelsong musikalisch und textlich zu den Highlights seiner deutschen Popsongs der letzten Jahre zähle.
Hört man die erste CD, so dominiert hier trotz einiger Balladen der Rhythmus! Gut so – denn ich habe Cicero während unzähliger Konzerte und Treffen als einen durchaus bedachtsamen, aber immer auch sehr fröhlichen Menschen erlebt. Sein urplötzliches, lautes Lachen wird jedem, der ihn kannte, unvergesslich bleiben
Traurigkeit oder Melancholie kann sich kaum gegen die mitreißende Musizierfreude von Cicero und Big Band behaupten. Popsongs wie „Du bist mein Sommer“ oder „Wenn es morgen schon zu ende wär“ pulsieren heftig und klingen fröhlich. Seine bekannten frühen Swingtitel (Murphys Gesetz, Zieh die Schuh aus, Die Liste, Kompromisse ) beeindrucken noch immer durch den unvergleichlich umwerfenden Drive. Kein anderer Sänger hat diesen „fetzig-harten“ Swing – und ich wage zu behaupten, selbst ein „bigband-erfahrener“ Sänger wie Michael Bublé, klingt stimmlich viel softer und hat für mich nicht diesen hochpotenzierten „Cicero-Drive“, der einen in Konzerten überwältigen konnte.
Die oft übliche Sentimentalität von „My Way“ gestattet sich auch nicht die im Sinatra-Vergleich stark jazzgetränkte Cicero-Liveversion des Welthits, den Paul Anka für Sinatra schrieb. Immerhin – Nachdenklichkeit stellt sich schon ein, denn man weiß ja, dass dieser Song mit zum Letzten gehörte, was Roger Cicero live sang. Andere Balladen-Meisterwerke sind auch „Ich atme ein“, „Wovon träumst du nachts“ und besonders „Ich hätt‘ so gern noch Tschüß gesagt“. Auch hier übertrifft die berührende Intensität und Farbenpracht seines Gesangs sowie das Niveau der Komposition bloße Rührseligkeit.
Der bisher unveröffentlichte Song „Eine Nummer zu groß“ zeigt in wunderbar stimmigen Arrangements mit Streichern, den starken Percussions und Drums die große Professionalität der Musiker. Ciceros Stimme, welche die Noten und den vieldeutigen Text in gleichrangiger Betonung behandelt, markiert hier auch, wie Können und Gefühl ineinander fließen und den Song perfekt abrunden. „Eine Nummer zu groß“ macht inhaltlich sehr nachdenklich im Hinblick auf seinen frühen, so plötzlichen Tod…. und musikalisch klingt der Song für mich seelenverwandt mit „In diesem Moment“ der sich nach „Zieh die Schuh aus“ und „ Frauen regier’n die Welt“ zu einem Cicero-Signatursong entwickelte. Kein anderer Cicerosong wurde bisher mehr gecovert.
Die zweite CD ist den bisher unveröffentlichten Livemitschnitten gewidmet und unterstreicht einmal mehr die fantastische Cicero-Bigband und natürlich Ciceros Entertainerqualitäten, die da einhergehen mit einer ungebremsten, geradezu überbordenden Dynamik. In neuen Arrangements speziell für die Konzerte – präsentieren sich Cicero und seine Musiker in einem Höchstmaß an Kreativität und Virtuosität.
Das hört man schon beim Show-Intro. Ein Highlight jagt dann das nächste. Ein Song wie „Geboren“ ein genialer Fanta-4 Cover, kann schon fast allein das gesamte künstlerische (Jazz) Potenzial des Roger Cicero bestätigen. Die ehemals sehr sanfte Ballade „Fachmann in Sachen Anna“ wird live auf staunenswerte Weise zu einem Soulsong mit Funkelementen und anfeuernden Bläsereinsätzen, Percussionseinlage und Sax-Solo.
Ein Sting-Cover „I was brought to my senses“ gerät in einer impulsiven Symbiose von Jazz, Pop und Soul nicht weniger als „grandios“ und der Song „Ein Kompliment“ von den „Sportfreunden- Stiller“ wogt und tänzelt elegant im Latinsound.
Selbstverständlich vemisst der versierte Cicero-Fan bei den Liveaufnahmen den Prince-Song „How Come You Don’t Call Me Anymore“ – vielleicht Ursprung der Cicerokarriere! Denn als der bis dato eher unbekannte Roger mit dieser Nummer einen phänomenalen Auftritt bei einem Konzert des Pianisten Joja Wendt hatte, mit dem er seinem künstlerischen Idol „Prince“ huldigte – wurde er minutenlang umjubelt und ein Plattenvertrag winkte ihm endlich zu.
Einen frühen, eindeutig dem Jazz zugewandten Song von Roger „Mein guter Stern“ – hätte ich mir bei der Live-CD außerdem noch gewünscht. Es ist ein sehr persönlicher Song – geht er doch auf seine („wilden“) Jahre zurück als er mit seiner orangefarbenen Ente von Jazzclub zu Jazzclub tingelte. Aber wenigstes wurde das schöne Intro des Songs nun für „Fachmann in Sachen Anna“ verwendet.
Aber hört man dann am Ende „Murphys Gesetz“, ist man fast für die vermissten Songs entschädigt. In einer über 9-minütigen, fantastischen und alle Dynamik-Register ziehenden Longversion vereinen sich zum Ende der Live-CD noch einmal alle Talente von Bigband und einem Sänger, der sich in seinen bravourösen Vokalexkursionen selbst-vergessend verausgabt.
Das Design der CD-Ausgabe könnte übrigens nicht besser sein. Schlicht – aber gleichzeitig so edel und elegant! Alles in klassischem Weiß gehalten, versehen mit schwarzer oder goldener Schrift. Es gibt schöne s/w Fotos von Roger und eine farbig angelegte Doppelseite mit einer Bildercollage der Künstler und Menschen, die mit Cicero über die letzten zehn Jahre gearbeitet haben. Dazu ein wunderbarer, sehr ausführlicher Text von Nils Jung: er beleuchtet Roger Cicero sowohl als Privatperson wie auch als Künstler und berichtet über seine Karrierestationen von seinen Kindheitsjahren an bis zum Ende.
Etwas bemängeln möchte ich, dass in der informativen Chronologie im Booklet die frühen und großartigen Alben mit „After Hours“ (There I Go 2005 ) und mit dem „Julia Hülsmann Trio“ (Good Morning Midnight 2006) nicht erwähnt wurden. Immerhin singt Roger doch jeden Song dieser CDs – sie gehören unbedingt mit zu seinem musikalischen Vermächtnis.
Es ist leider nicht zu erwarten, dass wir bald mit einem ähnlichem Talent wie Roger Cicero rechnen können. Er bleibt ohnehin unersetzbar. Zumindest aber in der deutschen Jazzszene gibt es hervorragende junge Talente: Daniel Čačija !
In einer Zeit jedoch, in der deutsche Popsänger (oft von den Medien hochgelobt und endlos im Radio gedudelt) überwiegend harmlos bis unbedarft im Sprechgesang vor sich hinträllern oder weinerlich ihre Befindlichkeiten kundtun, dabei jedoch noch hoch in den Charts landen, ist anzunehmen, dass versierter Gesang sowie eine gute Stimme mit großer Bandbreite nicht gefragt sind.