Bonn- Roger Cicero und seine ARTGERECHT- Tour Konzert in der Beethovenhalle am 6. November 2009.
Fast das komplette neue Album von Roger Cicero, nämlich 12 Songs von 14, werden auf seiner aktuellen Konzerttour vorgestellt. Das neue Programm ist gut und spannungsreich durchmischt mit seinen vorherigen Erfolgen wie „Murphy“™s Gesetz“, „Kompromisse“ u a. – welche alle von Lutz Krajenski neu arrangiert wurden. Einige Songs werden jetzt deutlich schneller gespielt – „Tempo“ oder „heftige Rhythmen“ sind auf der neuen Konzerttour vorrangig und noch präsenter als auf der vorherigen Tour – besonders im zweiten Teil der Vorstellung.
ENTERTAINER
Längst hat sich Roger Cicero zum glänzenden Entertainer entwickelt „“ was hauptsächlich sein lockerer Präsentationsstil, die immer souveränere Performance insgesamt beweist. Sein reines Gesangstalent – diese perfekte Mischung von präziser Intonation und Improvisationsfreude – sowie seine mühelos über Oktaven kletternde Stimme waren seit Beginn der Roger Cicero Karriere vorhanden und nie ein Problem. Schließlich hatte er schon vor vielen Jahren seine Ausbildung in Jazzgesang und zahlreiche Auftritte in Clubs und Kneipen absolviert.
OHNE WORTE
„Artgerecht“, das neue Album zeigt eine stilistische Kursänderung in Richtung Pop, Soul und Motown. Schon der zweite Song des Konzertes „Ohne Worte“ beginnt mit swingentferntem souligen Sound und sicherem Falsettgesang, den seine Fans bestens vom grandiosen Princecover „How come U don“™t call me anymore“ kennen. Die große Wandlungsfähigkeit von Cicero“™s Stimme zeigt sich in der Polarisation von weichem Klang in den Tiefen bis zu den hohen Extrempassagen mit metallischer Härte. Dabei bleibt sein Gesang immer klangschön, nicht gepresst sondern einfach kraftvoll. Tonumfang und Volumen seiner Stimme sind mitunter geradezu verblüffend.
KUNSTFIGUR ?
Mitunter kann man jetzt in der Presse Kommentare zu Cicero finden, die ihn immer mehr zu einer „Kunstfigur“ abstempeln möchten. Lapidare oder „dankbare“ Gründe dafür sind lediglich sein Outfit: der Hut, den er niemals abnimmt „“ seine stete Eleganz, usw. Ich sage dazu: Wenn Herr Cicero sonst nichts vorzuweisen hätte, wäre er vielleicht eine „Kunstfigur“.
Wenn jemand aber mit so viel natürlicher Musikalität, Freude und großem Talent wie Roger Cicero Musik macht, ist ein Mensch so authentisch wie nur möglich. Seine Performance beweist seine Authentizität – Hüte und Klamotten können nicht daran kratzen.
SONGTEXTE
Natürlich sind auch die Songs von „Artgerecht“ textinhaltlich geprägt von den zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie unterhalten wenig tiefgründig, ( wie sollte das auch gehen in drei Minuten?), aber immer kurzweilig und originell. Zumindest sehr zeitgemäß werden die Schwierigkeiten und Freuden von Liebe, Trennung, Leidenschaften und Sehnsüchten behandelt „“ diese ewigen und elementaren Themen der Menschheit. Songs wie „Tabu“, „Seine Ruhe“, oder „Wenn ich dich los wär“ sind gute Beispiele dafür.
Entgegen vieler Kritiker, die gerne auf den natürlich „unausweichlichen“ Klischees dieser Inhalte herumreiten, und damit oft ihre kompletten Konzertkritiken ( sehr unzureichend ) bestreiten, bin ich wesentlich mehr an der Musik und an den ausübenden Musikern interessiert. Ich finde es wichtiger ihnen Tribut zu zollen und darüber zu berichten, denn Musik besteht für mich in erster Linie aus „Tönen“ und nicht aus „Worten“!
BIG BAND
Wie schon in den vorherigen Konzerttouren, bleibt Roger Cicero“™s Big Band weiterhin eine wirklich „fantastische Bigband“ deren Musiker alle auch hervorragende Solisten sind. Zündende Soli einzelner Musiker gab es zwar wieder, aber es hätten auch mehr sein können – für meinen persönlichen Geschmack. Leiter, Arrangeur und Pianist Lutz Krajenski spielt da gewiss die wichtigste Rolle. Er ist mit seinen vielseitigen, musikalischen Fähigkeiten unersetzlich für die Big Band. Für die neue Artgerecht-Tour wurden zwei weitere Musiker engagiert: Ulle Rode, Gitarre & Chor, sowie Robbie Smith, Percussions & Chor. Sie erwiesen sich im Konzert als eine Bereicherung „“nicht nur was den veränderten Sound in Richtung Pop und Soul betrifft.
FACHMANN IN SACHEN ANNA
Robbie Smith und Schlagzeuger Matthias „Matze“ Meusel beeindruckten das Publikum mit einen faszinierendem, virtuosem Solo. Ulle Rode spielt neben Robbie Smith und Hervè Jeanne, ( der bitte seinen neuen Bass unbedingt behalten möge!) auch bei „Fachmann in Sachen Anna“. Hier greift auch Roger zum ersten Male in einem Konzert zur Gitarre. Der Song kommt nach einem wahrlich aufpeitschendem „Nicht Artgerecht“ (erst bebte der Saal in dröhnenden Bassvibrationen – später stand die ganze Halle Kopf…), als ein unerwarteter Ruhepol. Wundervoll im akustischem Klang der sparsamen Instrumente – vorab als “ unplugged-Version von Cicero angekündigt, hat dieses Stück wohl alle Konzertbesucher berührt.
Nach vielen energiegeladenen Powersongs war manch einer vielleicht überrascht, wie empfindsam und mit wie viel geschmeidiger Weichheit Cicero auch eine solche Moll-Tristesse bringen kann. Man(n) oder Frau sitzt da gebannt und denkt: besser geht“™s doch eigentlich nicht! Es mögen die plötzlichen, wohligen Endorphine, die momentan sich ausbreitende Euphorie sein, die einen so empfinden lässt „“ aber nur durch eine derart glückliche Vorstellung des Künstlers werden solche Empfindungen erst mal “ geboren“.
Ich dachte während des Songs „Fachmann in Sachen Anna“ dass diese Musik eine weitere gute Chance für ein Cicero-Album ganz anderer Art wäre. Es muss nicht immer Big Band und Swing sein, auch wenn ein Cicero-Slogan schon früh formulierte: „Egal was es ist – es muss swingen“. Balladen, die Cicero bereits vor seiner CD „Männersachen“ sang (Rivermann von Nick Drake, The Wedding, von Ibrahim Abdullah u.a.) zeigen ihn als einen wunderbar sensitiven, sehr modulationsfähigen Sänger. Er sollte diese musikalische Seite nicht zu sehr vernachlässigen. Sein Artgerecht-Konzertprogramm enthält von ca. 25 Songs lediglich zwei richtige Balladen.
GEBOREN
Stichwort „Geboren“. So heißt auch ein Titel der „Fanta 4“ der von Cicero auf geniale Weise gecovert wurde und dessen Wiedererkennungswert durch die extrem jazzige Art durchaus erschwert sein könnte! Ebenso wie beim Grönemeyer-Cover „Männer“ hat Lutz Krajenski sich hier mit einem herrlichen Big Band Arrangement ausgetobt. Eine mitreißende Version, bei der Roger Cicero sein ganzes überragendes Jazzfeeling ausdrücken kann. „Geboren“ endete mit dynamischen Scat, im Wechsel mit Stephan Abels Saxophon. Sie waren in ihren freudesprühendem Duett gleichermaßen virtuos wie mitreißend. Die Nummer, eine meiner Highlights in Bonn, zeigte eindeutig, dass Roger Cicero beim scatten – zumindest in Deutschland – unerreicht ist. Ich wüsste niemanden bei uns, der diesen hochpotenzierten „Cicero-Drive“ erreichen könnte.
PUBLIKUMS-FEEDBACK
Wenn das Bonner Publikum im zweiten Teil des Konzertes bereits nach ein paar Songs durchweg bis zum Ende der Vorstellung sozusagen “ senkrecht“ stand – klatschte, tanzte, und sich am Bühnenrand drängte soweit der Platz reichte – dann könnte man sagen, Cicero und seine Mannschaft haben da wohl was richtig gemacht! Die Schwierigkeit, ein Programm noch kurz vor Ende weiter zu steigern, nachdem sich ein Hit an den nächsten reihte und die Vorstellung des vorletzten Songs „Wenn ich dich los wär“ wirklich FULMINANT war, wurde tatsächlich im Bonner Konzert vollbracht.
MURPHY’S GESETZ – DIE ÜBERWÄLTIGENDE ABSCHLUSSNUMMER
Lutz Krajenski schaffte mit seinem neuen Arrangement für „Murphy“™s Gesetz“ für Cicero die Voraussetzung, aus dem Song eine lange und überwältigende Abschlussnummer zu machen. Wesentlich schneller gespielt und gesungen als bisher, entwickelt der Song eine starke, überbordende Dynamik.
Als der Song sozusagen in voller Fahrt war, forderte Cicero erst die Männer und dann die Frauen auf, in eben diesem schnellen Rhythmus wechselweise „Murphy“™s Gesetz“ zu singen. Während er selbst über die Saalstimmen hinweg weiter die Melodie sang und der satte Big-Band-Sound allgegenwärtig war, erreichte der Song eine bisher nicht gekannte Spannung und Intensität.
GOSPEL ?
Diese Performance stand haushoch über dem Niveau einer billigen Mitmachklatschnummer!
Das war gemeinsames Erleben! Die Art und Weise, wie das nicht aufhörte und sich steigerte, erinnerte mich bald schon an ekstatische Gospelgesänge, in denen mit der ständigen, taumelartigen Wiederholung von Worten oder Gebeten eine Trance erreicht wird. „Taumel“ hatte das Publikum bereits erfasst, und zumindest eine Art von Trance wäre dann vielleicht nur noch eine Sache von weiteren Minuten gewesen „“ jedenfalls bei mir (LOL)
Am Ende, als der Song eigentlich zuende ist, kommt endlich das sehnlichst erwartete Hammondorgel-Solo von Lutz Krajenski „“ und ist elektrisierend wie immer! Wenn Roger ihm dann in kurzen Abständen immer wieder in höchster Lautstärke Vokalsalven zuschleudert, Lutz diese mit dröhnendem Schlag auf die Orgel quittiert, wird „Murphy“™s Gesetz“ endgültig zu einer „Overkill-Nummer“.
Trotz stakkatoartigem Rhythmus, trotz aller zungenbrecherischer Verve, kommt bei Roger jeder Ton, jede Nuance klar, sauber und gekonnt. Zeit für kleine musikalische Schlenker und Improvisationen lässt sich Cicero dabei immer „“ weil es ihm Spaß macht. Die Freude schwingt immer mit. Ich kann nur sagen: Roger, für uns war es auch wieder eine große Freude,
Dir zuzuhören !
FÜR ‚NEN KERL
Nach frenetischem Applaus folgten zwei Zugaben. Letzter Song war Roger Cicero“™s Hommage oder Ode an seinen kleinen Sohn „Louis“, dem er auch sein Album Artgerecht widmete. „Für „™nen Kerl“ geriet ihm anders, als seine andere, sehr persönliche und stark gefühlsbetonte Ballade für seinen Vater Eugen Cicero: „Ich hätt“™ so gern“™ noch Tschüß gesagt“. Der Text von „Für „™nen Kerl“ ist eher burschikos und verschmitzt gehalten und lässt nicht diese Traurigkeit aufkommen, wie bei der Hommage an den verstorbenen Vater. Auch musikalisch unterscheiden sich diese zwei intimen Cicero-Songs voneinander. Bei „Ich hätt“™ so gern“™ noch Tschüß gesagt“, saß Cicero allein ohne Big Band auf leerer Bühne an seinem Piano. Die ruhige Melodie wurde in manchen Passagen unterbrochen von emotionalen Ausbrüchen „“ um dann wieder ruhig zu werden. „Ich hätt“™ so gern“™ noch Tschüß gesagt“ war immer eine tief bewegende Vorstellung und nach Ende des Songs herrschte im Konzert erst mal Schweigen, bevor man applaudierte.
„Für „™nen Kerl“ ist musikalisch eine Blues-Ballade, mit breitem Big Band Sound. Weder süßlich oder sentimental singt Cicero einfach, aber doch mit viel Gefühl davon, dass er niemals gedacht hätte, „soviel für einen Kerl zu empfinden, soviel für einen Kerl zu tun.“ Ein schöner Song, musikalisch wie textlich, dabei sehr sympathisch.
MUSIKALISCHER KURSWECHSEL ?
Anfangs schrieb ich in dieser Rezension über den musikalischen Kurswechsel von „Artgerecht“. Die Livepräsentation der Songs zeigt aber, dass das Instrumetarium einer Big Band, und insbesondere DIESER Big Band nach wie vor Jazz und Jazzakzente eines Cicero-Konzertes dominieren. Jetzt wurden zwar mehr pop- als swingstrukturierte Songs gespielt, Soul- und Motown waren ansatzweise auch dabei. Aber die Ausdrucks- und Artikulations-Charakteristik von Ciceros Gesang, können niemals seine Ausbildung im Jazzgesang, und auch nicht seine große Affinität und Begabung dafür verbergen. Die Zwänge der Vermarktung und gute Verkaufzahlen von CDs, DVDs usw., verlangen heute mehr denn je die Anpassung an den Markt. Hoffen wir, dass Roger Cicero“™s Talent und seine zukünftigen Karriereschritte sich weiterhin und noch richtungsweisender in einem für ihn adäquaten Kurs bewegen.
(c) Werner Matrisch, 8. November 2009
STAR FOR A DAY!
Sorry, ich habe die Aktion „Star For A Day“ fast vergessen. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass diese Aktion für mich nicht besonders wichtig ist. Es ist eine nette Einlage „“ besonders wenn man hübsche junge Frauen sehen will, denn unattraktive werden wohl eher nicht ausgewählt. Letztendlich ist es doch so, dass die jeweilig Sängerin weniger als fünf Minuten insgesamt singt. Die Aufmerksamkeit, die diese Aktion erlangt, dürfte so gesehen ausreichend sein! Der Bonner „Star“ hat überraschend gut gesungen. Eine nicht uninteressante Stimme mit eigener dunkler Färbung und einem leicht sexy Timbre. Sie hat ihre Sache gut gemacht „“ und in ihrem Erscheinungsbild Amy Winehouse etwas nachgeeifert. Schwarzhaarig war sie auch – nur der „Bienenkorb“ war nicht so ausgeprägt.