Köln- MAX MUTZKE – NDR Radiophilharmonie & Enrique Ugarte „EXPERIENCE“ – Ein gelungenes Großprojekt: Max wieder in Hochform. Wer die Karriere von Max Mutzke etwas mitverfolgt, wird anerkennend seine unablässige Bereitschaft und Neugierde für neue, ungewöhnliche Projekte bemerken.
Neben den Pop-Soul-Konzerten mit seiner Band „monoPunk“ unternahm er Ausflüge in jazzige Dimensionen mit Big Bands, der CD „DurchEinander“ oder beeindruckte live mit dem klassischen Streichquartett „Takeover Ensemble“.
Sein jüngstes Unternehmen darf man getrost als vorläufigen künstlerischen Höhepunkt betrachten: Max Mutzkes Liveaufnahmen mit der renommierten NDR Radiophilharmonie sind nun auf mit 76 Minuten prall gefüllter CD erschienen. Im konzertanten, wechselvollen Klangteppich von achtzig Musikern ertönt der energetische Gesang des Künstlers mehr denn je schillernd und begeisternd.
Dirigent und Arrangeur Enrique Ugarte, erfahren in vielseitigen Musikprojekten, leitet mit kreativer Hand das achtzigköpfige Orchester und Mutzkes Popkompositionen, die den größten Teil des Programms bestücken. Neben Mutzkes Erfolgstiteln (Marie, Schwarz auf Weiß, Can’t Wait Until Tonight) sind die neueren Kompositionen seiner vorherigen CD „MAX“ (2015) gut vorgestellt.
Diese Songs zeigen deutlich, wie sehr sich Max Mutzke von Album zu Album steigerte, wie eigentlich alle Kompositionen miteinander um die jeweils höchste Eindringlichkeit konkurrieren können.
Bemerkenswert sind „Unsere Nacht“ mit seinem peitschendem Rhythmus und dem politischen Appell, und das manisch-liebestrunkene „Magisch“. Hier wird Mutzkes Gesang mit der Wucht des Riesenorchesters – welches schrill und stakkatoartig die immer gleichen Tonfolgen wiederholt – fast fieberhaft anmutend vorwärtsgetrieben.Nach einem tiefgründigen, mehr verhaltenem Intro entsteht sein aufbegehrender Gesang wie lautes Schmerzgeschrei, und selbst in einer Atempause schluchzt Max noch mit Kopfstimme, völlig seinen Gefühlen ergeben.
Es ist erstaunlich wie harmonisch die Arrangements den Mutzkesongs angepasst sind. Sie behalten auch bei den manchmal recht konventionell anmutenden Streicher- und Bläserpassagen die typische Intensität von Mutzke-Kompositionen, fernab von Austauschbarkeit. So fühlte ich mich bei „Ich Ohne Dich“ ein wenig an den Bacharach-Sound der Sechziger /Siebziger Jahre erinnert. Bei „Welt Hinter Glas“ scheint der Song durch die melodiösen Streicher im Hintergrund plötzlich mehr „Melodie“ zu bekommen – was dem Song sehr gut tut.
Als brandneue Mutzke_Komposition gibt es als Bonus-Track den Song „So viel Mehr“ . Ein Song, den Max für den Kinofilm „Schatz, nimm du sie“ schrieb und der im Februar 2017 anlaufen soll. Es bleibt abzuwarten, wie der Song sich im Film integriert – auf dem Album gehört, scheint mir der Vokalpart musikalisch etwas grobschlächtig geraten. Viermal werden – und das auch noch mehrmals im Song – die immer gleichen Tonfolgen + Worte (Wir sind soviel mehr) wiederholt. Das ist mir einfach zu viel, und auch der immer gleiche Stampfrhythmus dahinter gefällt mir nicht wirklich. Emotionen/Aussagen sowie gewisse Melodiebögen können durch eine ständige, wie hier wenig improvisierte Wiederholung eine inflationäre Note erhalten. Natürlich setzt sich so ein Song schnell in den Gehörgang, was sicher auch beabsichtigt war – aber da hat Max für meinen Geschmack schon ziemlich auf Massenkompatibilität geschielt.
Viel weniger massenkompatibel oder konventionell klingt natürlich „Creep“ mit dem wehmütigen Cello-Intro und der sparsam gehaltenen Instrumentierung – sehr ähnlich der Mutzke-Performance mit dem „Takeover-Ensemble“ – dessen Leiter und Gründer Mikis Kekenj auch diese Orchesterversion arrangierte. Wenn es denn eines Beweises seiner Stimmkraft, Gesangs- und Atemtechnik, nicht zuletzt seines interpretatorischen Gestaltungswillen bedarf – die knapp halbminütige, im andauerndem Fortissimo gehaltene Note in „Creep“ ist wohl das, was man angelsächsisch mit „outstandig“ klassifiziert! Deutsche Singer/Songwriter sowie Schlager- oder Popsänger die sich in unseren Charts tummeln – sie alle können das nicht einmal ansatzweise.
Aber ein purer Sänger wie Max Mutzke kann es auch leiser, differenzierter und überzeugt musikalisch damit ebenso. Das kommt deutlich zum Vorschein bei den Covers „Me And Mrs. Jones“ und buchstäblich exzellent bei dem oscarprämierten Streisand-Film-Hit von 1973 „The Way We Were“. Den fantastischen Bill-Withers-Song „Me And Mrs. Jones“ kannte man schon von Mutzke-Alben und Konzerten – immer ein sicheres Highlight. Auch diese neue Version gerät Dank der Dynamik von achtzig Musikern und Max‘ leidenschaftlicher, genretypischer Interpretation zur süffig-pompösen Soul-Hymne! Danach denkt man: Ein Mutzke „Soulclassics Album“ – das wäre noch etwas, was sich der Fan erträumt!
Behutsamer geht Max an den Song „The Way We Were“, den Barbra Streisand immer kunstvoll wie die personifizierte Nostalgie gestaltet. Immerhin für Max Mutzke ein Wagnis so einen „Streisand-Signatur-Song“ zu singen. Kein Streisandkonzert passiert ohne diesen Song, und natürlich gibt es jedes Mal „standing ovations“. Ich darf mich hier als jemand outen, der die Streisand als bedeutende Künstlerin wirklich wertschätzt und sage nach anfänglichen Vorbehalten: die Mutzke- Version finde ich brillant!
Fast schlicht startet Max mit eingedunkelt-warmer Stimme in die betörend schöne Ballade. Mehr und mehr bringt er sich dann ein, seine Stimme wird lauter und rauer. Wo Streisand mit kristallreinem Wohlklang und der obligatorischen Steigerung bezaubert, ertönt hier die Mutzke-Stimme mit etwas anderem, sogar für ihn „neuem Klang“. Man spürt, er ist tief in dem Song, in der Melodie, in den Worten. Wie er die Endsilben der Worte „laughter“ oder „remember“ beschwörend aussingt, wie er sie dramatisch akzentuiert, das hat eine neue verletzliche Note, klingt aber auch gleichzeitig samt-soulig und schwarz. In dieser Interpretation enflammt Max Mutzke in Leidenschaft für den Song, und verschafft dem Hörer wohlige Gänsehaut.
Aber eigentlich singt er ja jeden Song mit größtmöglicher Hingabe – und immer schwingt der Soul “die Seele“ mit, das bleibt sein Markenzeichen und manifestiert sich in jedem seiner Konzerte. Das neue Album „Experience“ ist eine Liveaufnahme von zwei Konzerten im Januar 2016, (Hannover). Der Bonus-Track wurde beim „Schleswig Holstein Musik Festival“ August 2016 live vorgestellt Die Klangbalance von Stimme und dem großen Orchester ist hervorragend austariert, an keiner Stelle wird Max‘ Stimme zugedeckt, oder ist das Orchester zu sehr im Hintergrund. So wie es klingt, klingt es gut. Mir persönlich gefällt es ganz gut, dass nicht hinter jedem Song der Applaus aufgenommen wurde oder vor den Songs eine entsprechende Ansage.
Das Album klingt eher wie eine Studioaufnahme, die man ohne den ab-und anschwellenden Applaus konzentrierter anhören kann. Ich mag durchaus Liveaufnahmen – aber man hört sie seltener. Sie sind etwas besonderes und man stellt sich beim Hören anders darauf ein.
Max Mutzke mit der NDR Radiophilharmonie: diese „Experience“ mitzuerleben ist ein glamouröser Hochgenuss im Zusammenspiel von achtzig Musikern mit einem charismatischen, immer ansteckend enthusiastischen Sänger, von dessen weiteren Schaffen man noch viel erwarten darf.
NACHTRAG:
Am 25.11. 2016 – also zwei Tage, nachdem ich diese Rezension schrieb – war Max Mutzke als Gast bei Bettina Böttinger (Kölner Treff ). Er sang dort live den neuen Song „So viel mehr“ den ich kritisch und eher negativ hier in dieser Albumbesprechung beurteilte. (siehe weiter oben). Max sang jetzt eine sehr verkürzte Version, die von Bruno Müller nur mit Gitarre begleitet wurde. Er sang den Refrain beim ersten Male recht zurückgenommen, und dann erst in der zweiten Wiederholung intensiver mit größeren Stimmaufwand. Der Song hatte durch die sparsame Begleitung und durch Max‘ nuancierteres Singen eine ganz andere und viel berührendere Wirkung als die laute Orchesterversion, in der die Zeile “ Wir sind so viel mehr“ endlos oft in immer gleicher Lautstärke wiederholt wird. Jetzt klang alles weicher, sensibler, subtiler – der Inhalt des Songs wurde so für mich viel deutlicher, nachvollziehbarer.