Köln- Mit diesem Album vom September 2017 hat Jeff Cascaro voll ins Schwarze getroffen. Seit 2006 veröffentlicht der deutsche Jazzsänger und Trompeter in schöner Regelmäßigkeit Alben mit wechselnden Besetzungen – kleine Ensembles oder auch mit Big Band, wie bei seinem vorletztem Album „Any Place I Hang My Hat Is Home“ (2014), auf dem er ausschließlich Songs des US Komponisten Harold Arlen singt.
Auf jedem seiner Alben findet man hervorragende Titel – aber keines enthält für mich eine solche Homogenität und hat auf allen Ebenen diese geradezu beglückende Stimmigkeit, wie jetzt bei „Love & Blues In The City“. Das liegt einerseits an den hochmotivierten Arrangements und den hervorragenden Musikern – die er auf jedem Album hat. Am überzeugendsten aber liegt es wohl an der inspirierten Auswahl der Songs für Cascaros Stimme und sein klassisches Blues/Soul-Feeling: denn alle Songs klingen so; als seien sie speziell für ihn geschrieben. Mehr kann man sich nicht wünschen.
Dabei handelt es sich oft um Titel, die in vielen, sehr berühmten Versionen bekannt geworden sind. Populärster Song ist die von Bobbie Gentry komponierte Ballade: „Ode To Billie Joe“. Die Gentry verkaufte von ihrer Fassung in den Sechzigern weltweit (unfassbare) 3 Millionen Exemplare….und Wikipedia schreibt, es gibt mindestens 87 Coverversionen des Songs.
Jeff Cascaro triff genau die richtigen Töne und Phrasierungen für diese Strophen-Ballade mit der sofort ins Ohr gehenden Melodie. Er erzählt die rätselhafte Geschichte um den nie wirklich aufgeklärten Suizid von Billy Joe ein bißchen als singender Berichterstatter mit Folk-Touch. Aber nach dem Instrumentalteil macht er einen Tempi-Wechsel und hebt diese Strophe langsamer gesungen und durch stärkere Akzentuierung besonders wirkungsvoll hervor. Dadurch erhalten die Zeilen noch einmal eine besondere Aufmerksamkeit.
And Mama said to me „Child, what’s happened to your appetite?“
„I’ve been cookin‘ all morning and you haven’t touched a single bite“
„That nice young preacher, Brother Taylor, dropped by today“
„Said he’d be pleased to have dinner on Sunday, oh, by the way“
„He said he saw a girl that looked a lot like you up on Choctaw Ridge“
„And she and Billie Joe was throwing somethin‘ off the Tallahatchie Bridge“
Ein Welterfolg wurde auch der Song „A Taste Of Honey“ – ursprünglich 1960 von Jazzpianist Bobby Scott für ein Theaterstück als Instrumentaltitel komponiert. Später kam ein Text von Ric Marlow hinzu und seit den frühen 60s wurde der Song sowohl von internationalen Jazzkünstlern wie auch Popstars interpretiert. Inzwischen längst ein „Standard“ ist der Song auch eine unvergessene Perle an Kompositionskunst.
Jeff Cascaro singt den schlichten Song mit fast würdevoller Hingabe an den Zauber der Melodie und die traurigen Worte der Erinnerung…: „a kiss more bitter than wine“. Und so entsteht – noch verstärkt durch das sublime Piano-Arrangement – ein Musikstück voller meditativer Schönheit.
Aber natürlich erfreut das Album auch besonders durch viele, stark groovende Bluestitel wie den vorwärtsstürmenden Opener „My Babe“ oder dem „Stormy Monday Blues“, der besonders im zweiten Teil des Songs rasant jazzig auffährt. Jeff ergreift hier voller Elan die Gelegenheit, im mitreißendem Uptempo sich das beste und dynamischste Jazz-Singing zu liefern, welches man in dieser Art lange nicht bei uns gehört hat. Hier zeigt sich: mit dem richtigen Material und den ihn adäquat- kreativ begleitenden Musikern setzt Jeff Cascaro sich an die Spitze aller deutscher Jazz-Vokalisten.
Beim Marvin-Gay-Song „Inner City Blues“ pendelt seine Interpretation souverän zwischen Blues, virtuoser Jazzphrasierung und Soulsprenkeln. So wie seine Stimme sich hier mit den Instrumenten verbindet entsteht auch eine traumhaft gelungene Klangqualität – die sich sogar durchs gesamte Album zieht. Der Titelsong „Ain’t No Love In The Heart Of The City“ klingt zunächst mehr nach waschechtem Folk-Blues, überrascht aber in der Mitte mit tollen Bläsersätzen.
Die bitter-sweet Blues-Ballade „Since I Fell For You“ begeistert mit weitem Melodiebogen und fordert automatisch jeden Interpreten zu großem Gestaltungswillen heraus. Sogar eine Streisand lieferte sich 1972 in dem Song einige Noten, mit der sie sich tatsächlich einer Aretha Franklin näherte. Derart überdramatisch intoniert Cascaro hier nicht – er singt diese wunderschöne Komposition eher mit feinfühliger Zurückhaltung und setzt nur in kurzen vokalen Ausbrüchen dramatische Akzente, die dann um so mehr eindrucksvoll sind.
„It’s Allright“ , die erste von Jeff Cascaros Eigenkompositionen auf diesem Album erinnert mich stilmässig etwas an den Song „Allright, Okay You Win“ der Ende der 50s durch Peggy Lee, Tony Bennett oder Joe Williams sehr populär wurde. Im schönen Boggie-Woogie-Style (Pianosolo!) driftet das Stück hochrhythmisch und gutgelaunt vorwärts.
Die zweite Eigenkomposition „I Love You Baby“ ist als Duett angelegt. Das Arrangement lässt mich an den „Happy Sound“ so mancher Burt-Bacharach-Songs denken. Die Sängerin Fola Dada ergänzt sich mit ihrer hellen, reizvollen Stimme hervorragend mit Jeffs Bariton. Beide Künstler machen Dank ihrer großen Musikalität das Duett zu einer fröhlichen, fingerschnippsenden Swingnummer.
Am Ende des Albums kommt noch einmal ein wirkliches Highlight. Mit der dritten Eigenkomposition „Hold On To Now“ entwickelt Jeff Cascaro eine deutlichere, eigene Sprache seiner kompositorischen Fähigkeiten. Auch im gesanglichen Ausdruck entfaltet sich in dieser feinfühligen Ballade Cascaros Meisterklasse zu voller Größe. Der Song fesselt durch die große Intimität und lyrische Schönheit. In melancholischen, fragilen Klangfarben führt uns der Sänger behutsam durch eine Welt der persönlichen Umstände und Emotionen.
Mit „Love & Blues In The City“ hat Jeff Cascaro unzweifelhaft das bisher beste Album seiner Karriere vorgestellt. Abgerundet wurde das hohe Niveau dieser Produktion auch durch die s/w Fotos von Jim Rakete.