Köln- Ein spannender Satz der mich fasziniert:“Blickfeldverengung ist profitabler als Horizonterweiterung“, fiel in der Antrittsrede an der Uni Tübingen von Prof.Claus Kleber. Claus Kleber ist vielen Menschen in Deutschland bekannt als Moderator der ZDF Heute Nachrichten.
Für mich persönlich zählte er immer zu den besten TV Journalisten in Deutschland. Dass er Professor ist, wusste ich nicht und ich war sogar überrascht. Durch Zufall stieß ich auf seine Antrittsrede an der Uni Tübingen. Dass Kleber in der Folge sein Wissen und seine Erfahrung an junge Medien-Studenten weiter geben wird, finde ich Klasse. Ein einstündiges Video mit seinem Vortrag steht nun auf Youtube zur Verfügung.
Wie ich finde, ist dieser Vortrag in Form und Aufbereitung, ein sehenswertes Zeitdokument!
Mein Tipp: Liebe Journalisten, aber auch meine Leser, gönnt Euch dieses eine Stündchen.
Mein Fazit und Kommentar zu diesem Video, nachdem ich es mir angesehen habe:
Ich stimme Claus Kleber in vielen Punkten zu. Bei seiner Diagnose in Sachen Medien,personalisierte Werbung und die Algorithmen von Google, Facebook und Co. und wie die sich auf unseren Medienkonsum und den Journalismus auswirken, liegt er in großen Teilen gut recherchiert am Puls der Entwicklung.
Auf Dauer kann nur qualitativ hochwertiger und transparenter Journalismus überleben
Claus Kleber begreift die sozialen Medien auch als Chance für den Journalismus. In diesem Punkt liegt er sicherlich richtig. Was aber das Endverbraucher Verhalten im Umgang mit den Medien angeht habe ich ein paar Einwände und eigene Gedanken.
Der Journalismus und die Medien dürfen sich in keinem Fall dem Rythmus und Stil von Google&Co anpassen. Das wäre in etwa so, als würde Jazzmusiker Till Brönner ein Trompeten Jazz Solo von Miles Davis Ton für Ton wiedergeben.Das wäre für jeden Jazz Liebhaber ein No-Go. Ein Kulturschock. Ein Zitat lässt uns lächeln. Das lieben wir als Zuhörer.
Nur die klare Trennung wird das Überleben der „klassischen Medien“ sichern. Alle Studien über das Verbraucher Medienverhalten berücksichtigen selten oder nie den gesellschaftlichen Wandel der letzten 10 Jahre. Und Deutschland war und ist nicht mit Amerika zu vergleichen.
Ein messbares, verlässliches und vollständiges Bild für Deutschland kann sich erst ergeben, wenn wir ein flächendeckendes Internet bis in den letzten Winkel dieses Landes haben. Alle Zahlen und Fakten der Internetindustrie beruhen bisher lediglich auf dem Großstadtverhalten. Wenn sich die Medien wegen schwindender Besucher im TV und ihren Webdiensten jetzt auf das neue Facebook News Modell einlassen, werden sie feststellen, das auch das, nicht mehr einbringen wird.
Der Medienkonsum der Endverbraucher läuft bereits auf Vollast!
Vielleicht sollten sich die Medienunternehmen einfach nur darüber klar werden, dass es kein ewiges Wachstum gibt. Aus meiner Sicht ist das Limit bereits erreicht. Mehr Medienkonsum ist für den Endverbraucher kaum möglich.
Lieber Claus Kleber, bedenken Sie doch ganz einfach mal, dass ein großer Teil ihrer Leser und Zuschauer, Nachrichten bereits im Reservemodus konsumiert. Mehr geht gar nicht. Ihre Zielgruppe der 20- bis 40-Jährigen schuftet derzeit am Limit und hat deshalb ganz andere Dinge im Kopf. Existenzsicherung für das eigene Leben hat oberste Prämisse. Was interessiert einen bei zwei Jobs „Charlie Hebdo“, wenn es bei einer vierköpfigen Familie gerade einmal für die Miete und etwas mehr reicht. Die veränderte Arbeitswelt fordert ihren Tribut.
Während meine Generation um 18 Uhr Feierabend hatte und dann den Fernseher einschaltete, haben viele Menschen heute zwei Jobs. Kämpfen mit unbezahlten Überstunden. Haben weniger Realeinkommen.
Klar surfen die über Tag kurz bei Facebook rein oder stöbern per Smartphone am Arbeitsplatz in anderen Kanälen. Aber nicht, um News zu lesen. Sondern sich emotional auf oder abzuregen. Dampf ablassen. Frust loswerden. Durchleuchten wir die Kommentare und Meinungen ihrer Zielgruppe zu den Tagesthemen genauer, dann wollen sie doch nicht behaupten, dass sich daraus ein positives Bild unserer Gesellschaft ergibt. Oder? Sind diese Kommentare der Lohn der Arbeit, auf die ein Journalist Wert besonderen legt?
Die Globalisierung und der Fortschritt der Medien sind zwar messbar vorhanden. Er könnte uns Menschen nutzen. Tut es aber nicht. Während die Werbeindustrie darüber nachdenkt, wie sie noch mehr Rahm abschöpfen kann, fühlen sich viele Menschen von der Masse der Informationen überfordert. Immer mehr schalten verzweifelt ab. Vor allem bei den Mainstream-Nachrichten Hypes.
Ihr Beispiel „Charlie Hebdo“ und die Zahlen und Beurteilung über das Konsumverhalten stimmen. Es gibt einen großen Anteil von Menschen, welche die Nachrichten nicht gesehen haben, weil es einfach zu viel war.
Die Radiosender: Beliebte Radiostationen, wie WDR2, 1Live, SRW3,NDR2 oder Bayern bringen alle 30 Minuten Nachrichten. Immer die gleichen Themen. Fahre ich Auto, oder höre Radio zu Hause, quillt mir das aus den Ohren und ich kann den Text Abends teilweise bereits auswendig wiedergeben.
TV Sender: Alle TV Sender N24,CNN, ARD und dritte Programme,RTL,SAT1,Pro7,Phoenix u.s.w berichten rund um die Uhr, über Charlie Hebdo. Wenn dann um 22 Uhr ZDF Heute kommt, hat der geplättete und müde Bürger die Schnauze bereits voll.
Online Presse: Bild, Express u.a. verteilen das Thema ohne Hintergrundrecherche in kleinen Häppchen tagelang. Welt und Spiegel bieten etwas mehr Hintergrund, befinden sich aber immer im gleich gearteten Themenkreis. Am Ende des Tages könnte ich auch diese Nachrichten singen. Hier erscheint mir die ZEIT noch als die große Ausnahme, was die Tiefenwirkung der Informationen angeht.
Und genau an dieser Stelle müssen die Journalisten ansetzen. @Bildblog zeigte in dieser Woche die Titelblätter der Tageszeitungen in Europa anlässlich des G7-Gipfels.
Genau das treibt den Endverbraucher, den Social-Media-Kanälen in die Arme. Doch sind die Menschen dort glücklicher? Nicht wirklich. Die Bilder und Emotionen, die im Freundeskreis verbreitet werden, öden uns schon lange an. Wer zu Anfangs täglich bei FB „on“ war, schaut nur noch alle zwei Tage nach. Klickt sich durch seine Likes und ist schon wieder woanders. Wo ist er denn?
Überall dort, wo gerade kein Hype ist. Und damit wächst und wächst YouTube. Genau deshalb ergattern „Bibi“ und andere YOUTUBER 2 Millionen Follower. Obwohl das keine Aussage darüber trifft, wie lange dies dauern wird.
Heute+ könnte ein Weg sein, ist mir aber auch schon fast zu Mainstream. Der gesunde Mittelweg und Mix wird das Ding für TV News und für die Presse sein.
Wenn ein TV Nachrichten Journal in der Lage wäre, schon beim Einstieg in die Sendung mit einem anderen Thema zu beginnen, als weltweit alle anderen Kanäle und Sender, dann wäre der erste Schritt in die richtige Richtung getan.
Doch genau diesen Mut vermisse ich. Hier gäbe es einen vernünftigen und guten Ansatz, die Welt zu verändern. Das benötigt Stehvermögen. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten werden vom Bürger bezahlt. Nicht für Einfalt und Mainstream. Sondern für Vielfalt und Unabhängigkeit. Ihr könntet es Euch erlauben.
In den letzten Monaten habe ich mit vielen Menschen über das Thema TV Medien gesprochen. Am nächsten waren den meisten Gesprächspartnern ARTE und 3SAT. Das kommt nicht von ungefähr. Das Programm beinhaltet unglaublich viele ARD und ZDF Beiträge. Warum kommt das bei uns an? Wegen des gesunden Mix. Und es ist nicht Mainstream! Wieso bekommen Kinder bei „LOGO“ Nachrichten besser aufbereitet als bei HEUTE. Warum muss ich im Internet surfen, um Hintergründe zu den Machenschaften der Politik in Sachen TTIPP, nur in dubiosen Kanälen zu erfahren. Wieso taucht niemand von den 2.185.102 Millionen Unterzeichnern gegen TTIPP im Interview auf?
Warum muß ich Greenpeace und BUND aboniert haben, um über etwas über giftige Kohle zu erfahren? Warum habe ich immer wieder den Eindruck, dass Journalisten Politkern nicht wirklich auf den Zahn fühlen? Ich denke, es gibt unglaubliche viele deutsche Themen.
Jeder Tag ist anders. Nicht mehr als ein Tag sollte von einem Thema beherrscht sein. Und besonders wichtige Themen sollten Journalisten auf dem Radar haben und verfolgen. Und noch besser und genauer recherchieren, um die Wahrheit an den Tag zu bringen. Das erfordert Geduld und Zeit, die scheint das Internet nicht zu haben. Time is money!
Ich hoffe, dass wir in der Zukunft viele studierte Journalisten bekommen, die den Mut besitzen, nicht auf Facebook und Google zu schauen, sondern ihre Ausbildung nutzen, um den Blick neben den Mainstream zu setzen. Die uns weniger mit Zahlen und Studien langweilen, sondern mit Fakten, Hintergründen und Emotionen. Den Bürger über das Geschehen in der Welt in Kenntnis setzen.
Die Welt besteht in unserer Wahrnehmung aber nicht mehr allein aus Russland oder den USA. Die Erde und das Leben auf ihr besteht eben nicht immer nur aus einem Tagesthema.
Einen Tag FIFA ist ja in Ordnung. Aber sieben Tage FIFA (ARD und dritte) das müssen Sie zugeben, ist einfach zum Kotzen. Oder wenn es am Ende des Nachrichtenblocks erst auftaucht, dann habe ich aber im Wesentlichen schon etwas anderes, interessantes Neues erfahren.
Ich hätte viele Ideen, doch ich spüre gerade, dass ich gar keine Lust mehr habe, mehr zum Thema zu sagen.
Letztlich bin ich froh, dass ich mir die Zeit genommen habe und mir die Lehrstunde mit Ihnen angesehen habe. Universitäten, die Lehrmaterial aus der Praxis für die Praxis vermitteln, finde ich genial gut. Das finde ich toll, unserem Bildungssystem. Hoffentlich lieber Claus Kleber überträgt sich Ihr Optimismus auf die jungen Journalisten. Dann mache ich mir um die Zukunft der deutschen Medienwelt keine Sorgen. Über die Dinge reden und diskutieren. Das wird uns weiterbringen. Mark Zuckerberg alles glauben und ihm folgen, wird ihn reich machen und uns geistig ins Mittelalter des Journalismus zurückführen.