Barbra Streisand – What Matters Most neue CD – 19. August 2011- Für Streisands weltweite Fangemeinde heißt das: Sie bleibt weiterhin die Gesangsgöttin, die sie seit 50 Jahren ist !
Ihr neuestes Album liefert den hörbaren Beweis: Barbra singt mit 69 immer noch überirdisch schön. Wer sonst im Bereich Pop/Chanson kann mit seiner Gesangsstimme so eindringlich erzählen, so zärtlich flüstern, so innig das Glück vergangener Liebe beschwören, dass man am Ende glaubt, eher einem Gebet gelauscht zu haben statt eines Liedes ?
Streisand’s neue CD „What Matters Most“ empfinde ich als ihr bisher „emotionalstes“ Werk, was bei über 60 Streisandalben schon etwas bedeutet! Diese Einschätzung deckt sich mit den Meinungen von Streisandfans die ich kenne und denen in diversen Netzforen. Es scheint – zum ersten Male gibt es nahezu die totale Übereinstimmung zu einem neuen Streisand-Album. (Ich erinnere an das deutlich umstrittene Moviealbum „“ und auch „Guilty Pleasures“, ihre zweite CD mit Barry Gibb, gefiel längst nicht jedem Streisandfan ).
Inzwischen haben wir uns an Barbra’s „neue“ Stimme gewöhnt, die dunkler und wärmer geworden ist, „fast“schöner klingt als je zuvor, (um der Euphorie mal freien Lauf zu lassen !), aber bei lauten Passagen doch die Anstrengung nicht verbergen kann. Heisere Töne waren bisweilen schon auf dem vorherigen Album „Love Is The Answer“ zu hören. Dazu bemerkte Dieter Bartetzko in seiner ausführlichen Besprechung zum Album in der FAZ, Oktober 2009 „“ ich darf zitieren, denn schöner und treffender kann Barbra’s „älter“ gewordene Stimme nicht beschrieben werden:
„Aber sie spinnt die Noten nun wie Goldfäden, kostet sie aus, statt sie zu demonstrieren, lässt sie sacht verwehen, statt sie zu straffen. Und – das ist vielleicht das Schönste – wenn manchmal heisere, den Jahren geschuldete Töne einbrechen, dann werden sie nicht kaschiert, sie sind Bestandteil eines Klangbilds, das uns eine reife Frau schenkt, die verwundert und gelassen zurückschaut.“
Nun erfahre ich jedoch beim mehrmaligen Hören ihres brandneuen Albums, dass Barbra die „straffen“, weit ausladenden, schwelgerisch-laut gesungenen Töne offensichtlich zurückerhalten hat und rauhe Töne weitaus weniger „einbrechen“ als auf „Love Is The Answer.“ (Freude!)
„What Matters Most“ ist als reines „Tributalbum“ ihren Freunden, dem Filmschreiber- und Komponistenehepaar Alan und Marilyn Bergman gewidmet. Seit den frühen Sechzigern kennen sie sich und haben gemeinsam an kleinen oder auch Riesenprojekten (Yentl) gearbeitet. Der starke persönliche Bezug „“ die große Freundschaft – mögen sicher dazu beigetragen haben, dass Barbra mit diesen zehn hochmelodischen, zuvor niemals gesungenen Bergmansongs emotional besonders motiviert ist und ihre unvergleichliche Gesangskunst in allen Facetten voll ausbreitet.
Da ist nirgendwo ein Zurückhalten! Was bei einer weniger guten Stimme leicht peinlich werden könnte, kann hier wegen gesanglicher Könnerschaft und Ausdruckstiefe einfach und guten Gewissens nur genossen werden! Wieder geht es bei den Inhalten um die elementarsten Gefühle der Menschheit: Liebe, Freundschaft, Beziehungen, Verlassenheit, Sehnsüchte, Träume und Erinnerungen.
Die Bergmans sind große Lyriker, die ihre Texte einem Gemälde gleich, in pastellenen Tönen, gestalten. Romantik, Bezüge zur Natur und Melancholie begegnen sich auf sensibelste Weise in ihren Songs. Nach wie vor ist es Streisand’s große Begabung, mit ihrer wunderbaren Stimme, ihrem großen Einfühlungsvermögen und nicht zuletzt ihrer Intelligenz, die Visionen der Liedtexter und der Komponisten zu vermitteln. Diesen Visionen verleiht sie ein Dasein, welches glücklicherweise durch die verschiedensten Tonträger immer abrufbar ist.
Komponisten wie Sondheim, Legrand oder Jule Styne singen nicht umsonst ihr Loblied auf Barbra. Sie wissen, dass eine Barbra Streisand mit ihrer unverwechselbaren Interpretation jeden ihrer Songs auf das höchste Niveau bringt.
So ist „What Matters Most“ mit leider nur zehn „“ aber großartigen Songs „“ sowohl textlich als auch kompositorisch ein Album von geradezu sensationeller Qualität geworden. Musikalisch vielseitiger als ihre Letztes, gibt es neben Balladen auch sanften Bossa Nova ( So Many Stars, Solitary Moon) und Swingendes. ( Nice ’n Easy, That Face.)
Die große Überraschung ist für mich der Song „That Face“, ( von Lew Spence) wo Barbra mit einer Frische swingt wie in den Sechzigern. Man erinnert sich an „You’re The Top“ aus dem Film „What’s Up Doc“ oder „You Wanna Bet“.
Nach einem langsamen Info legt sie los, steigert sich mehr und mehr und hat im zweiten Teil des Song Powertöne, die der fantastischen Big Band standhalten und die man so lange nicht von gehört hat. ( Da könnte ein ganzes Swing-Album glatt ein erneutes Meisterwerk werden!)
„Nice ’n Easy“, ( Lew Spence) die berühmte Swingnummer von Sinatra klingt da verhaltener, aber auch elegant und charmant. Ja, es swingt noch, aber verzögert. Hinreißend wie Streisand hier den Swing sozusagen in „Zeitlupe“ zelebriert! Von den zwei Bossa-Nova-Songs halte ich „Solitary Moon“ komponiert von Johnny Mandel, für gelungener als „So Many Stars“.(von Sergio Mendes) Ihre Stimme ist wie „schwebende Magie“. Das Saxophonsolo von Dan Higgins schmiegt sich wunderbar in die sinnliche Melodie.
Über die Arrangements des Albums kann man diesmal nur großes Lob ausschütten. Mit William A. Ross hat sich Streisand wohl den für sie besten Arrangeur an Land gezogen. Seine Güteklasse hatte sich bereits erfolgreich bei ihrer großen Konzerttour 2006/2007 erwiesen. Wo beim Moviealbum ein Riesenorchester träge und impulslos spielte, sind die Arrangements vom neuen Album viel konkreter auf die Komposition eingestellt. Selbst wenn die Geigen bei den Balladen kompakt schwelgen ist das viel stimmiger und differenzierter.
Barbra liebt nun einmal diesen sinfonischen Orchesterklang – und es scheint, dass diesmal ihre Stimme in perfekter Weise mit dem Orchester harmoniert. Da klingt nichts schlaff oder müde „“ die Balladen bekommen Dynamik und eine schon arienmäßige Intensität. Bill Ross hat auch mit den Trompetensoli von Chris Botti bei „Alone In The World“ und „Nice ’n Easy“ dem Sound des Albums stimulierende barjazzige Akzente verliehen.
Berühmtester Song der CD ist die Michel Legrand Komposition „The Windmills Of Your Mind“. Versionen von diesem Titel sind unzählbar vorhanden, aber am stärksten im Gedächnis geblieben ist zweifellos Dusty Springfields Version. Hört man nun Barbra Streisand, die den Song zu Beginn a capella singt, vermittelt sich ein ganz anderer, viel ernsterer Eindruck.
Was bei Dusty eine schöne Popballade war, wird bei Barbra regelrecht zu einem Kunstlied. Dabei ungekünstelt, schlicht und klar. So wie Barbra eben singt – selbstverständlich und instinktsicher. Straight. Wenn ihre Stimme mit dem letzten Ton verklingt, und das Orchester sich ganz langsam mit dem traurigen Klang einer Violine aus dem Song schleicht, weiß man, dass der Song niemals vorher so ernst und bedeutungsvoll in aller Signifikanz gehört wurde.
Ja, das ist Moll und klingt traurig. Und so liegt durchaus „“ abgesehen von den 2 Big Band Titeln – zumindest eine große Ernsthaftigkeit und besonders auch Melancholie in allen Songs „“ textlich und auch kompositorisch. .
Ich hatte es eingangs erwähnt, dass man bei manchen Songs den Eindruck hat, einem Gebet zu lauschen. In ganz besonderer Weise trifft das auf den Jerry-Goldsmith-Song „Alone In The World“ zu. Barbra’s Gesang ist an Innigkeit, Klarheit und Intensität nicht zu überbieten. Der Song gehört zu meinen absoluten Favoriten der CD.
Eigentlich ist aber jeder Song dieses Albums ein eigenes Meisterwerk für sich. Unbedingt dazu zähle ich auch Legrand’s „Something New In My Life“ . Abgesehen davon, wie Barbra die Lyrics in sublimster Weise vorträgt, ist es immer wieder beeindruckend, wie unantastbar sauber ihre Intonation ist „“ und wie genau sie jede einzelne Note singt. Barbra hat – wenn sie einen Song liebt – große Erfurcht vor jeder Note die der Komponist schrieb.
Sie verändert meistens keine Note, was andere große Vokalisten mitunter gerne tun, und ja eigentlich auch Ausdruck musikalischer Kreativität ist. Sie läßt der Komposition ihr Eigenleben – improvisiert nicht.
Das könnte man vielleicht „langweilig“ finden „“ bei Barbra jedoch ist es immer wieder ein Faszinosum, eine bekannte Melodie zum ersten Male von ihr gesungen zu hören. Es ist dann so, als ob man JETZT erst die Schönheit der Melodie wahrnimmt, weil sie mit ihrem Gesang voll und ganz auf die kompositorische Substanz achtet.
Barbra Streisand ist und bleibt unerreicht in ihrer Stimme, ihrer Musikalität, ihrer Phrasierungskunst und ihrem Instinkt, neue Songs zu Ihren Songs zu machen. Ich kann nur hoffen, dass auch Musikliebhaber von schönen Stimmen und anspruchsvollen Songs außerhalb der Streisand-Liga diese CD entdecken werden.
Nachsatz:
Es gibt etwas, was mich stört bei den diversen Ankündigungen zu jeder Streisand-CD und natürlich auch zu „What Matters Most“: Gebetsmühlenartig wird da jedes Mal ausführlichst aufgelistet, mit wie vielen Preisen Streisand geehrt wurde, wie viele Goldene- und Platin Platten sie verkauft hat, usw. Ob das nötig ist „“ ich weiß es nicht.
Es reicht doch, zu bemerken, dass sie die erfolgreichste lebende Künstlerin und Entertainerin ist – wenn als Fakt dafür nicht nur der reine Plattenverkauf sondern auch die zahllosen unterschiedlichen Preise und Auszeichnungen beachtet werden, die Streisand in dieser Anzahl als einzige Künstlerin kontinuierlich bis zur Gegenwart während ihrer 50 Jahre andauernden Karriere erhielt. (Werner Matrisch)