Als „Überlebensreflex“ eines geschwächten Regimes verurteilt Reporter ohne Grenzen das neue Internetgesetz in Belarus. Es erschwert den Zugang zu ausländischen Webseiten und verstärkt die Überwachung der Internetnutzer im Land. „Dieses Gesetz gibt den Behörden neue Waffen im Kampf um die Kontrolle des Internets in die Hand“, so ROG.
Das Gesetz 317-3 ist am heutigen Freitag (6. Januar) in Kraft getreten. Es ergänzt und erweitert den restriktiven Erlass Nr. 60 vom Juli 2010. Besitzer von Internet-Cafés müssen seither die Identität jedes Nutzers nachweisen und Verbindungsdaten ein Jahr lang speichern.
Das neue Gesetz erschwert auch den Zugang zu ausländischen Web-Seiten. Die kommerzielle Nutzung des Internets ist Unternehmen und Dienstleistern nur noch unter der belarussischen Domain .by erlaubt. Besitzer von Internet-Cafés und die Anbieter gemeinschaftlich genutzter Internetdienste (z.B. Computer in Wohnhäusern) sind verpflichtet, jeden Nutzer zu melden, der auf ausländische oder verbotene Webseiten zugreift. Für Verstöße drohen Bußgelder von bis zu 100 Euro.
Eine Liste verbotener Websites gibt die staatliche Aufsichtsbehörde für elektronische Kommunikation heraus. Informationen dazu liefern Polizei und Staatsanwaltschaft, das Informationsministerium sowie das „Zentrum für Operationen und Analysen“, das direkt dem Präsidenten untersteht. Institutionen, Bildungseinrichtungen und Internet-Cafés müssen entsprechende Web-Seiten innerhalb von 24 Stunden sperren, wenn sie von den Behörden dazu aufgefordert werden.
Zu den Seiten auf der schwarzen Liste gehören pornografische Angebote oder solche, die zu Gewalt oder Extremismus aufrufen. Diese vagen Bestimmungen werden aber oft eng ausgelegt und zahlreiche kritische Seiten blockiert, darunter populäre Angebote wie die oppositionellen Webseiten „Charter97“ (www.charter97.org) und „Belaruspartisan“ (www.belaruspartisan.org) oder der Blog des Humoristen Ewgeni Lipkowitsch (http://lipkovichea.livejournal.com).
Angriffe auf kritische Online-Journalisten nehmen derweil nicht ab. Die bekannteste Website der Opposition, Charta97, wurde am 29. Dezember von Hackern attackiert. Sie veränderten redaktionelle Inhalte und löschten Teile des Archivs. Chefredakteurin Natalia Radina arbeitet seit ihrer Flucht im März 2011 vom benachbarten Litauen aus. Radina zufolge wurden auch die E-Mail-Postfächer von Andrej Sannikow und seiner Frau Irina Chalip geknackt. Sannikow, einer der Gründer von „Charter97“, war bei der Wahl im Dezember 2010 gegen Präsident Alexander Lukaschenko angetreten und wurde im Mai zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.
„Die verschärfte Zensur ist der Überlebensreflex einer Regierung, die durch die Proteste nach der umstrittenen Wiederwahl Lukaschenkos im Dezember 2010 geschwächt ist“, urteilt ROG. In ihrem letzten Internet-Bericht führt die Organisation Belarus als „Land unter Beobachtung“ auf.(Ots)