Köln – Wir alle sind auf zahlreichen Kanälen und in verschiedenen Blasen unterwegs, und dabei genießen wir die Freiheit der Meinungsäußerung. Doch oft stoßen wir auf Kommentare und Reaktionen, bei denen sich mir die Haare sträuben – sei es, weil sie inhaltlich falsch, am Thema vorbei oder unverdient aggressiv sind. Nicht zu vergessen das permanente Klagen über Politik, Wirtschaft, Unternehmen und Behörden, deren Veränderung naturgemäß Zeit braucht.
Beruflich bedingt bewege ich mich seit Langem in diesen Netzwerken, und ich staune täglich mehr über das, was ich dort lesen muss. Es ist an der Zeit, dies einmal bewusst zu thematisieren.
Freie Meinungsäußerung muss respektvoll sein
Was wir täglich in den sozialen Medien sehen, hat oft wenig mit echter Meinungsfreiheit zu tun. Vielmehr stoßen wir auf hasserfüllte Angriffe gegen andere, die diese Anfeindungen nicht verdienen – vor allem, wenn man die Betroffenen gar nicht persönlich kennt. Ja, ich verstehe, dass viele Menschen in ihrem Leben mit Problemen kämpfen, sei es in der Familie, im Beruf oder im Freundeskreis. Und darüber muss gesprochen werden.
Doch sollte dieses Sprechen nicht anstandslos und respektlos geschehen. Es ist möglich, sich über die Leistung eines Sportlers zu ärgern, ohne ihn zu beleidigen. Man kann einen Fehler eines Politikers kritisieren, ohne ihn persönlich anzugreifen oder zu diffamieren.
Im Laufe der Zeit ist im Umgang mit den sozialen Medien etwas schiefgelaufen, und was einst die Ausnahme war, ist heute Alltag.
Es ist Zeit für mehr Demut und Empathie
Wenn ich mich umsehe, stelle ich fest: Ich lebe seit 70 Jahren in einem Land, das keinen Krieg kennt. Hier gibt es keine zerbombten Krankenhäuser, keine zerstörten Wohnhäuser oder Straßenzüge. Wir haben Zugang zu sauberem Wasser und ausreichend Nahrung – so viel, dass wir jährlich Tausende Tonnen davon wegwerfen. Die meisten Menschen hier haben Zugang zu warmem Wohnraum, Licht und Strom. Wir leben in einem wohlhabenden Land, das seinen Wohlstand durch das Engagement und die Verlässlichkeit seiner Bürger erreicht hat.
Zu diesen Bürgern gehören auch Politiker, die in der Vergangenheit Verantwortung übernommen und das Land mitgestaltet haben. Ebenso gehören Ehrenamtliche, Beamte, der öffentliche Dienst, Polizei, Feuerwehr, Krankenhäuser, Sozialdienste und die Politiker der Gegenwart dazu – alle arbeiten daran, den Status quo zu erhalten und, wenn möglich, zu verbessern.
Jeder Bürger hat das Recht, sich für ein öffentliches Amt zu bewerben und aktiv mitzuwirken. Doch die Art und Weise, wie wir heute miteinander umgehen, gefährdet diese Demokratie. Wer möchte schon Verantwortung übernehmen, wenn er für einen Fehler einem Shitstorm ausgesetzt wird und seine Familie Bedrohungen ausgesetzt ist?
Demut als Grundlage für einen respektvollen Umgang
Demut vor dem anderen würde uns gut zu Gesicht stehen. Bevor wir jemanden verurteilen, sollten wir die Menschenrechte im Kopf behalten und die Faktenlage sorgfältig prüfen. Bevor wir einen wütenden Kommentar schreiben, sollten wir innehalten, tief durchatmen, nachdenken – und erst dann angemessen reagieren.
Wir haben eine so reiche Kultur und eine wunderbare Sprache, in der sich Kritik äußern lässt, ohne zu verurteilen. Es ist möglich, seine Meinung kundzutun, ohne zu verletzen.
Jeder von uns sollte sich fragen, ob es wirklich angemessen ist, eine Meinung zu teilen, die in einer respektlosen Art und Weise formuliert ist.
Am Ende sind wir, was wir tun und sagen. Und wenn uns einmal ein Wort entgleitet, haben wir immer die Möglichkeit, es zu löschen – und uns selbst zu ändern.
In Demut,
vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.