„High Energy“ – Roger Cicero in der Kölnarena

1637

Veränderungen werden deutlicher, wenn man sich Pausen gönnt in der Langzeitbeobachtung seines Objekts. Eine gewisse Distanz zum Bild schärft den Blick mehr, als wenn man allzu nahe und lange davor steht. roger-cicero3.jpg

Ich habe Roger Cicero & Bigband mit seinem „Männersachen-Live“ Konzert zuletzt im Januar 2007 gesehen. Viele Fans aber sind dem in kurzer Zeit zum deutschen Superstar des Swings avancierten Künstler nicht selten von Konzert zu Konzert nachgereist und haben in diesen Monaten ungleich mehr Konzerte gesehen als ich.

Jetzt, nach sieben Monaten sah ich ihn mit (fast) gleichem Programm in der Kölnarena wieder. Ich erlebte Roger neben seiner, bereits schon damals, stimmlichen Unanfechtbarkeit nun als swingenden Entertainer, der souverän und mit Elan auf einer großen Bühne agiert. Die immer gleichen Zwischenmoderationen wirkten lässiger, weniger einstudiert, und waren treffend auf das Wesentliche gekürzt. Diese neu gewonnene Geschmeidigkeit überzeugt und unterstützt Cicero in seiner sprühenden Bühnenpräsenz, die zudem erfreulich natürlich rüberkommt.

Inzwischen haben er und seine Band ca. sechzig Konzerte absolviert, und jeder einzelne Musiker hat während dieser harten Schule eine traumhafte Sicherheit erreicht. Cicero selbst improvisiert häufiger und freier. Neben reinen Jazzsongs wie „Wenn ich den Blues nicht hätt“™“ sucht er jede Gelegenheit auch bei weniger „jazzlastigen“ Songs, die eigentliche Komposition mit Scateinlagen ( z. B. am Ende von „“Wenn sie dich fragt“) oder freien Noten zwischendurch, zu bereichern. Auf diese Weise wagt er geschickt und vorläufig noch „dosiert“, seinem Publikum mehr an zeitgenössischem Jazzgesang „unterzujubeln“, als diese vielleicht bisher gewohnt waren, zu hören.

Und man hört es: Wie er eingangs von „Tausendmal Berührt“ sich mit geschlossenen Augen geradezu lustvoll seinen virtuos-tonalen Kaskaden hingibt ! Wie er extrem lang gezogene Prince-Kopfstimmen-Noten einstreut, und schließlich die Worte des Songs mit maximaler Energie und Feuertönen angeht, zeigt überdeutlich: Er liebt es, im Gesang alles zu probieren. Und er liebt den Jazz.

So wie Roger Cicero das macht, haben diese kleinen Jazzexkursionen auch einen erzieherischen Effekt und sind mutig. Immerhin singt er auf diese Weise gegen manche seiner eigenen Songs an. Songs, die mittlerweile fast eine Art „Gassenhauerstatus“ erreicht haben, weil das Publikum sie mitsingt. Einigen Leuten gefallen diese jazzigen Schlenker und sie goutieren es mit anerkennendem Aufschreien und Jubel. Diese Zustimmung ist freilich gemessen am frenetischen Hallenbeifall von Hits wie „Frauen regier“™n die Welt“ oder „Zieh die „Schuh aus“ dann doch eher bescheiden.

So gibt es viel Partystimmung mit den ca. 6000 Besuchern in der fast ausverkauften Arena. Die Big Band ist blendend aufgelegt. Matthias Meusel entfacht Begeisterungsstürme bei seinem langen Schlagzeugsolo. Viele jazzig-schräge Solis der Musiker erzeugen nicht selten Gänsehaut! Cicero streut in sein bekanntes „Männersachen-Programm“ drei brandneue Songs, die allesamt HEFTIGST swingen, sei es auf lateinamerikanische Art ( „Das Experiment“) oder alà Count Basie ( „Die Liste“ ). Der hitverdächtige Song „Die Möbel verrückt“ zwingt die Fans vorne am Bühnenrand wie verzückt mitzutanzen! Ein guter Vorgeschmack auf das kommende Cicero-Album im Oktober.

Nach vielen rastlosen Nummern gönnt er sich zum Luftholen für meinen Geschmack viel zu selten Balladen. Denn oft zeigt erst eine Ballade die musikalische Reife eines Sängers besonders deutlich. Paradebeispiel war da schon immer die bewegende Ballade „Ich atme ein“. Das Drama der verlorenen Liebe steigert sich im zweiten Teil des Songs, direkt nach Stephan Abels grandiosen Tenor-Saxophonsoli, in musikalisch riskante Höhen. Um diesen Song überzeugend zu singen, muss Roger einiges wagen an Intensität und Stimmaufwand.
Wenn ich ihn dann so höre, ahne ich, dass dieser Roger Cicero noch viel mehr könnte, als er mit dem Männersachenprojekt zeigt. Sein Potenzial ist noch längst nicht erschöpft.

Auch seine eigene Komposition „Mein guter Stern auf allen Wegen“ gewinnt in dem neuen Arrangement der Liveversion an Qualität. Der Song ist als Ballade nicht so spektakulär wie „Ich atme ein“ und auf der CD ging das Stück zwischen so machen dynamischen „Knallern“ etwas unter. Jetzt wieder live gehört, mit fettem Big- Band-Arrangement höre ich erst, wie gut der Song wirklich ist.

Ich habe meine Rezension des Konzertes nicht umsonst “ High Energy“ betitelt. Es ist Roger Cicero“™s ungehemmte Leidenschaft und getriebene Energie, die er in jeden Song einbringt, und die von den Massen so begeistert aufgenommen wird. Oft genug stürmt er in seinen zahlreichen schnellen Stücken (z. B.“Kompromisse“) wie ein gutgelaunter „Stimmenberserker“ voran!

Seine Freude an der Musik vermittelt sich sofort und fasziniert das Publikum. Alles ist echt und unverfälscht. Seine Persönlichkeit ist das Gegenteil von “ abgehoben“ oder „künstlich“. Nach dem fast dreistündigen Konzert hat er noch weit über eine Stunde mit Signieren für die Fans verbracht. Jeder der wollte, konnte sich mit ihm fotografieren lassen. Er hat Fragen beantwortet, er unterhielt sich mit seinen Fans und war bis zum Schluss gutgelaunt. Ganz klar weiß er, was er tut. Und der dezent attraktive Cicero weiß auch, dass sein geschickt aufgebautes Image ihm den etwas kokettierenden Charmeur und gleichzeitig „sanften Macho“ abverlangt. Denn der hohe Anteil der weiblichen Fans ist unübersehbar.

Cicero“™s Konzert in der Kölnarena war ein toller und gelungener Abschied dieser langen Tournee. Sein großer Erfolg resultiert aus einer interessanten Mischung des Programms von „ohrgängigen“ bis anspruchsvollen Melodien, der neu erwachten Lust an originellen und vor allem deutschen Texten. Rogers großartiger sängerischer Versiertheit und natürlich nicht zuletzt aus der wirklich mitreißenden und gekonnten Neubelebung des Swingsounds der alten Tage ins Heute.

Nachtrag:
In vielen Artikeln zu Cicero“™s „Männersachen“ werden meines Erachtens häufig über Gebühr die ungewöhnlich cleveren Texte ( und dessen Wiederhall auf das Publikum) kommentiert. Ciceros Gesang erfährt oft nur am Rande kurze Bemerkungen. Aus diesem Grunde habe ich in meiner Besprechung den Focus bewusst auf Rogers Stimme gesetzt. Denn sie bietet uns, unabhängig von den Texten, den größten Genuss!

Vorheriger ArtikelFreischlader Blues Band Sonderkonzert für SAT1
Nächster ArtikelAbschied von Joe Zawinul mein Lieblingspianist ist gegangen
Jazzie ist mein Nickname als Jazzmusiker. COLOZINE Magazin ist mein Blog. Beruflich bin ich Inhaber einer Internetagentur in Köln und Ostfriesland. Hier fröne ich meinen Hobbys. Ich liebe Smooth Jazz und die USA Jazz Musik Szene. Als Jazz Fan sehe ich Harmonie, nicht nur in der Musik, als unser allerhöchstes Gut an. Jazz-, Pop-, Hardrock- und Bluesmusik hat die Welt verändert und ist für mich unverzichtbar. Grund genug, durch die Welt zu surfen und Ausschau nach guten Music Acts und Musikern zu halten. Ich bin Fan des 1. FC Köln. Weitere Faibles gelten dem Motorsport, Tennis und Motorrad fahren. Ich bin ein Honda Freak und lasse mir gerne den Wind um die Nase wehen. Inzwischen habe ich meinen Lebensort an die Nordsee in Ostfriesland verlagert, weil ich mein Herz an ein Denkmal von Anno 1746 verloren habe. Bei Fragen oder Fehlangaben auf den Colozine Köln News Seiten hier die Kontaktmöglichkeit Jazzie (Reinhold Packeisen) oder Mail an info@koeln-news.com :-) Tel.+49 170 90 08 08 74