Was ist dieses Ding namens Liebe? Die CD von Bettina Pohle & Ralf Ruh Trio

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Köln-  Was ist dieses Ding namens Liebe? Bettina Pohle & Ralf Ruh Trio: CD – Sophisticated Lady.  Diese CD, die definitiv „Jazz“ ist und nicht anderes – will den Vokaljazz nicht modernisieren oder gar „neu erfinden“. Eher geht es um das Aufbewahren, Erinnern und „Neugestalten“. Letzteres ist etwas anderes als das unerträglich bemühte und strapazierte „sich neu erfinden“. Es sollte so sein, dass ein guter Sänger einen Klassiker in „seiner“ ganz eigenen Art singt, seine Version muss sich unterscheiden von anderen, bekannten Versionen.

Wie das gelingt, hängt vom Können und der musikalischen Kreativität des Künstlers ab, aber er muss sich nicht “ neu erfinden“! Die neue CD „Sophisticated Lady“ lässt trotz des großen Bekanntheitsgrades der Songs sofort aufhorchen, hauptsächlich durch die unverwechselbare Stimme und Art der Interpretation Bettina Pohles.

„Sophisticated Lady“ widmet sich bis auf drei Neukompositionen den ebenso genialen wie unvergänglichen Jazzklassikern des Great American Songbooks. Dabei wurde jede schablonenhafte Bearbeitung vermieden. Innerhalb der vielfarbigen Arrangements sind Soli aller Musiker integriert.

Die Neueinspielung dieser Standards erhalten ihren musikalischen Reiz durch den überraschenden Wechsel von großer Wärme und Gefühl zu Kühle oder herber Schönheit im Gesang der Künstlerin. Bettina Pohles Interpretationen geben den oft gehörten Songs neue musikalische Impulse. Nirgendwo sind sie stimmlich verschwommen oder „bedeutungsvoll angehaucht“, und weit entfernt vom gefälligen, bequem zu konsumierenden „Schmusejazz“.

Dabei vermag Bettina Pohles differenzierter, sehr spezieller Vortragsstil nicht unbedingt auf Anhieb gefallen oder fesseln. Sie singt eben überhaupt nicht kommerziell – und das hat auch sein Gutes. Denn hier fliegt einem gesanglich nichts zu, was man schon x-mal an Stimmen gehört hat. Nach mehrmaligem Anhören der Songs kommt dann die schöne Überraschung: nämlich ein Erkennen der hohen musikalischen Qualität. So wie die Sängerin in ihrem Gesang Melodie und Lyrics spröde-fragil bis hochsensibel behandelt – weniger gefällig fließend – sondern mit intim-tiefgründiger Phrasierung – offenbaren sich Wahrheiten und komplexe Lebenserfahrung. Dabei dringt sie zum Kern der Kompositionen vor und wird zum überzeugenden „Storyteller“.So erreicht sie genau das, was sie im

Booklet schreibt:
Singing Jazz to me means more than anything: Authentic story-telling. The thought of reaching or touching someone with my interpretation of a song, of having someone hear and believe the story I tell, is something I cherish deeply.“

Bei Bettina Pohle erhalten auch vordergründig heitere Songs durch ihre spezifische Klangfarbe und Diktion der Lyrics oftmals einen leicht melancholischen Unterton. Dass die Melancholie ein Teil des Lebens ist und sehr wohl Lebensfreude beinhaltet – das kann Pohles Gesang auch vermitteln.

So auch bei Cole Porters „What is this thing called love“. Die Frage nach diesem „Ding“ namens Liebe, zieht sich thematisch – ernst, seltsam, traurig, desillusionierend, abgeklärt, heiter oder lakonisch behandelt – durch die gesamte CD. Der Song läuft Galopp, hart swingend – „finger-snapping & toe-tapping!“ Dazu kommen Ralf Ruhs blitzschnelle Pianoläufe in Begleitung und Solo und ein tolles Drumsolo von Peter Horisberger. Nach der offensiv und stürmisch gesungenen Frage, endet Pohle den schnellen Song eindrucksvoll mit einer unerwarteten, schier endlosen Note bei : Love.

Das Repertoire von „Sophisticated Lady“ offeriert Kostbarkeiten der besten US-Komponisten.
Guy Wood hat verglichen mit Namen wie Porter, Arlen, Ellington oder Gershwin nicht deren immense Popularität erreicht – aber sein Standard von 1952 “ My one and only love“ ragt als Love-ballad mit Jazz-Charakter in unübertrefflicher Schönheit hervor. Dem Schmelz der Melodie kann man sich schwerlich entziehen. Es ist eine Melodie, welche Begriffe wie Romantik, Innigkeit,Verliebtheit und Liebe ohne Kitsch und Klischees in harmonischer Perfektion vereinen. Großartige Künstler wie John Coltrane & Johnny Hartman, Chet Baker, Chick Corea, Ella, Sarah, Sinatra bis hin zum gerühmten „Pop-Jazzer“ der Jetztzeit – Jamie Cullum, konnten nicht widerstehen und nahmen diesen Song auf.

Trotz seiner Eingängigkeit ist der Song nicht zu unterschätzen und ist wegen seines großen Tonumfangs eine Herausforderung an Sänger. Die Melodie beginnt mit einer extrem tiefen Note,
um später fast arienmässig weit in die Höhe zu gehen. Bettina Pohle singt mit großer Hingabe, verliert sich aber nicht in gefühligem Hauchen und Flüstern, sondern intoniert in einigen Passagen sogar mit sehr viel Volumen! So endet dieses Liebesbekenntnis als ausdrucksstarke Ode an die Liebe. Dazu lässt Ralf Ruh in seinem wunderbaren Solo lyrisch das Piano erzählen.

Dunkel und mehrdeutig leitet ein Bass-Solo (Lars Gühlcke) zum traurigen Song „Good Morning Heartache“. Es geht um den „Herzschmerz“, an den man sich aber schon gewöhnt hat, weil er sich jeden Morgen in der Dämmerung wieder einstellt. Der Schmerz kam, als die Liebe ging – wurde schließlich zum gewohnten Begleiter. Also begrüßt man ihn mit der Frage: „Was gibt“™s Neues, Herzschmerz?“ Vorsichtig tastet sich Bettina Pohle in den Song. Wenn sie die Zeile „when my love went away“ singt, ist das “ love“ hervorgehoben wie ein tiefer, stiller Schmerz. Kein Verzweiflungsschrei – aber von unbezwingbarer Traurigkeit.

Beim Titelsong „Sophisticated Lady“, dem kongenialen Jazzklassiker von 1932, singt Bettina Pohle überzeugend die Geschichte von der eleganten, anspruchsvollen Frau, welche in den Tag lebt..raucht, trinkt und tanzt – jedoch eigentlich in der Hauptsache ihrer alten Liebe nachtrauert – und nur dann weint, wenn niemand in der Nähe ist.
Sie weiß genau, was mit ihr passiert ist:
„Then, with disillusion deep in your eyes you learned that fools in love soon grow wise“
Aber letzten Endes bleibt trotz aller Klugheit als Fazit ein resignierendes, trauriges:
„No, sophisticated Lady I know, you miss the love you lost long ago and when nobody is nigh you cry…“
Liebe kann den Charakter ändern – Erfahrungen machen klug aber oft auch illusionslos. Diese Gefühle und Erkenntnisse beschreibt und befördert Pohle innerhalb der komplizierten Melodie inspirativ mit allen traurigen, sehr dunklen Zwischentönen. Das wechselt von distanziert zu klangsinnlich – spannungsvoll werden viele Facetten ihrer Interpretationskunst ausgelotet. In Bettina Pohles neuer Version fühle ich, dass diese Ellington-Komposition mit ihren zum Teil modernen Harmonien auch als Beispiel dafür dienen kann, wie sehr in einer Melodie sich das ewige, unergründliche Geheimnis der Musik an sich offenbart.

Wie schon beschrieben, wird die Frage nach dem „Ding“ Liebe aber auch mit weniger problembehafteten Inhalten in den Songs dieser CD behandelt. Gershwhins „It’s wonderful“ schwelgt euphorisch vor positivem Lebensgefühl! Bei „Just one of those things“ swingt es heiter. Ein reueloser Rückblick auf eine kurze, aber intensive Liebesaffäre wird hier lakonisch-witzelnd vorgestellt. Im Instrumentalteil haben Pianist Ralf Ruh und Drummer Peter Horisberger ein temperamentvolles Zwischenspiel.

Der Song, bei dem Jazzakzente in höchster Dynamik aufglühen ist „Things ain’t what they used to be“. Bettina Pohle überrascht mit robusten Tönen die ihr sehr gut stehen. Hier geht sie so
draufgängerisch vor, dass ihre Stimme eine derbe, fast schmutzige Klangfarbe erhält. Special Guest Wolfgang Frister brilliert mit einem fabelhaften Saxophon-Solo. Im gemeinsamen Spiel erreichen hier alle Künstler das vitalste und „jazzschillernste“ Highlight der gesamten CD.

Eine ähnlich „schmutzige“ Färbung ihrer Noten ist auch bei „Stormy Weather“ zu hören. Die tot-traurige Harold-Arlen-Ballade gehört auch zum Great American Songbook, besticht aber seit ihrem Entstehungsjahr 1933 mit ungewöhnlich großem Jazzgehalt und wurde seit Anbeginn schon immer gerne von farbigen Jazzvokalisten gesungen. Bettinas Version wird trotz des schmerzvollen Inhalts nicht weinerlich, sondern eher rauh, unversöhnlich, fast anklagend und gegen Ende hin immer lauter werdend vorgetragen.

Von den vierzehn Titeln der CD sind drei Songs neu geschrieben worden. Ralf Ruh komponierte nach den Lyrics von Bettina Pohle zwei Songs, deren Melodik und Melodie für Pohles Stimmpräsenz und deren Entfaltungsmöglichkeiten absolut stimmig sind.
„Lets go out and have some fun“ beginnt als langsame Ballade, die wie ein längeres Intro funktioniert, um danach rhythmisch beschwingt zur lebensbejahenden, heiteren Seite zu wechseln.
„Nothin‘ ever stays the same“ wird von Bettina Pohle in ihrer ganz eigenen, unsentimentalen und trotzdem wehmütig empfundenen Weise vorgetragen. Mit diesen zwei Songs sind Pohle und Ruh ganz bei sich! Erwähnenswert auch, dass ihre neuen Songs neben weltberühmten Jazzstandards wie „Stormy Weather“ oder „Good Morning Heartache“ vollkommen gleichgewichtig bestehen können. Ein Album mit eigenen Kompositionen und Texten würde sicher noch einmal in besonderer Weise die Talente beider Künstler beleuchten und mit Freude und Genuss erfahrbar machen.

Der dritte neue Song wurde vom Johnny Cash Komponist Thomas O‘ Connell geschrieben.“My heart goes with you“ ist ein sacht swingender Song. Bettina Pohle trägt in mit wunderbarer Leichtigkeit vor. Beim langen Pianosolo wird erneut klar, wie sehr Ralf Ruh zum Gelingen dieses Albums beiträgt. Der adäquate, harmonisierende Klangkörper seines Spiels umfängt die Stimme Bettina Pohles bei allen Songs in bestmöglicher Weise.

Am Ende dieser CD-Rezension möchte ich noch hinzufügen: Nein, ich konnte nicht voraus ahnen, dass dieses neue Album von Bettina Pohle & Ralf Ruh Trio den Titel „Sophisticated Lady“ erhielt. Eben mit diesen Titel überschrieb ich meine Rezension zu ihrem Album „Just (b) von 2012.

(Auszug:)“Nach zwölfjährigem Aufenthalt in den USA hat Berlin mit Bettina Pohle eine wirkliche ‚Sophisticated Lady‘ zurückerhalten. Diese weltberühmte Duke-Ellington-Komposition ist auf ihrer jüngsten CD nicht enthalten, aber alles, was für ’sophisticated‘ steht ‚ kultiviert, fortgeschritten, feinsinnig, anspruchsvoll, differenziert, elegant – findet sich in Bettina Pohles Gesang wieder, sowohl in den Balladen als auch in Up-Tempo-Songs.“

Die damals von mir gewählten Attribute haben auch auf Bettina Pohles neuer CD Gültigkeit – wobei ihr Gesang diesmal von stärkerer Intensität und einer gewissen Robustheit im Ausdruck getrieben scheint. Wie immer beeindruckt sie auch durch ihre intelligente, textgezeugte Phrasierung.
Sie beherrscht die graduellen Feinheiten von Distanz und Hingabe. Ihre Stimme klingt warm in den Tiefen – aber sie kann auch unversehens „harsch“ klingen, besonders wenn durch starke Akzentuierung mancher Songpassagen die Worte geradezu hervorstechen. Die Gesamtheit ihrer sehr subtilen, sängerischen Eigenheiten machen den Reiz ihrer Interpretationen dieser Standards aus.

Das Album ist tontechnisch hervorragend produziert. In idealem, warmen Klang verbinden sich Stimme, Piano, Schlagzeug, Bass und Saxophon zur musikalischen Einheit mit hörbarer Transparenz und Dynamik.

Bettina Pohle – vocals, Ralf Ruh – piano,
Lars Gühlke – bass, Peter Horisberger – drums, Special Guest: Wolfgang Frister – sax.
Cover Photos: Stephan Röhl

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Jazzie ist mein Nickname als Jazzmusiker. COLOZINE Magazin ist mein Blog. Beruflich bin ich Inhaber einer Internetagentur in Köln und Ostfriesland. Hier fröne ich meinen Hobbys. Ich liebe Smooth Jazz und die USA Jazz Musik Szene. Als Jazz Fan sehe ich Harmonie, nicht nur in der Musik, als unser allerhöchstes Gut an. Jazz-, Pop-, Hardrock- und Bluesmusik hat die Welt verändert und ist für mich unverzichtbar. Grund genug, durch die Welt zu surfen und Ausschau nach guten Music Acts und Musikern zu halten. Ich bin Fan des 1. FC Köln. Weitere Faibles gelten dem Motorsport, Tennis und Motorrad fahren. Ich bin ein Honda Freak und lasse mir gerne den Wind um die Nase wehen. Inzwischen habe ich meinen Lebensort an die Nordsee in Ostfriesland verlagert, weil ich mein Herz an ein Denkmal von Anno 1746 verloren habe. Bei Fragen oder Fehlangaben auf den Colozine Köln News Seiten hier die Kontaktmöglichkeit Jazzie (Reinhold Packeisen) oder Mail an info@koeln-news.com :-) Tel.+49 170 90 08 08 74