Köln- In dieser Woche hatte ich ein Gespräch mit einem Zeitzeugen des letzten Weltkrieges. Dem heute 83 jährigen gelang die Flucht aus dem ostpreussischen Aris, das lag damals nahe der russischen Grenze, über Danzig nach Bad Segeberg. Schaut man sich die Landkarte an ein weiter Weg für einen 12 jährigen. Ich nenne ihn Georg, weil das macht das Schreiben leichter. Georg sitzt mir im Wohnzimmer seines kleinen Reihenhäuschen in Köln gegenüber. Der Pensionär blickt zurück, auf eine Karriere als erfolgreicher Manager, CEO und Chef von über 600 Arbeitern eines internationalen Konzerns, mit vielen langen Lebensabschnitten in den USA und Kanada.
Bei der Aufarbeitung der Geschichte meines Vaters, der aus Danzig stammte und zu der auch Georg gehörte, bin ich auf dessen Tagebuch gestoßen. Das schrieb er für seine Enkel und Urenkel, damit sie eines Tages wissen wer er denn so war.
So lasse ich dann meine erste Frage vom Stapel: „Wie war das denn damals für Dich? Mit der Flucht und dem Krieg“
Georg: „Ach weißt du. Es war für uns Kinder eine entsetzliche Zeit. Als die sowjetische Großoffensive im Januar 1945 begann und die deutsche Front entlang der Memel und der Weichsel an vielen Stellen durchbrochen wurde, war meiner Mutter klar, bevor der Russe kommt, müssen wir raus. Man hörte nachts schon die Artilleriefeuer. Wir haben uns dann von Ostpreußen auf den Weg nach Danzig gemacht. Unsere Flucht nach Westen begann bei extremem Frost und Schnee. Und es gab ja diese hochgelegten Alleen. Und dann die Flugzeugangriffe aus der Luft. Und Tote. Mein Gott wie viele Tote. Tote rechts und Links. Nichts zu essen. Kaum etwas am Leib.
Die Beamten und Offiziere der Wehrmacht und vor allem NSDAP-Funktionäre hatten monatelang jeden Gedanken an eine Evakuierung für Unsinn gehalten. Die glaubten ja alle an den Endsieg. Deshalb gab es keine Vorbereitungen. Viele Menschen versuchten den letzten Besitz nur auf dem Handwagen zu retten.
Flucht und Aufnahme im Westen war Chaos. Nur Hunger und Elend
Es war ein einziges Chaos. Damals waren Hunderttausend Menschen auf Straßen und Feldwegen gen Westen unterwegs. Wir waren unterwegs mit verletzten und Sinn entleert blickenden Soldaten. Dann traf mich ein Granatsplitter und ich hatte eine Verletzung am Bein. Doch keine Verletzung war schlimmer, als zu wissen, das niemand auf uns wartet, wir nicht überleben und die Familie nie wieder vereint ist. Und nur unsere Mutter umfing uns. Wärmte uns. Der Vater war ja schon lange nicht mehr da. Sie gab uns die letzte Hoffnung: „Ruhig Kinder, haltet zusammen, wir werden das schon schaffen. Bald wird alles wieder besser.“
Die Geschichte die Georg mir erzählt hat, ist viel länger. Details lasse ich an dieser Stelle entfallen. Das erlebte Schicksal einer Nation. Was ich dabei erfahre und empfinde und an Emotionen wahrnehme, würde ein Buch mit vielen Seiten füllen. Die Augen meines Gesprächspartner sind feucht und er kämpft mit seiner Erinnerung und doch erzählt er munter weiter. Meine Frage: „Und wo seid ihr hingekommen?“
„Nach Bad Segeberg. Als wir ankamen, wurden wir über Zuteilungsscheine einer Frau mit zwei Kindern zugeteilt. Doch diese Familie hatte selbst nichts zu essen. Nach ein paar Monaten Aussichtslosigkeit, es gab keine Arbeit und nicht genug zu essen, entschloss sich meine Mutter nach Köln zu gehen. Vielleicht mit dem Gedanken in der Stadt würde es uns besser gehen.
Doch Junge, du kannst es dir nicht vorstellen wie es in Köln aussah. Als wir da ankamen, waren auch in Köln nur Ruinen. Es gab nichts zu teilen. Doch in Köln gab es so etwas wie Aufbruchstimmung. Und dann haben alle Deutschen gemeinsam den Aufbau bewältigt. “
„Doch damals ist vorbei,“ sagt Georg. Und das er noch länger leben möchte und viel Zeit mit seinen Enkeln verbringen möchte und plaudert ein wenig über seine Kinder und Enkel. Und ich spreche über meine und meinen Enkel. Und wir verstehen uns irgendwie sehr gut.
Ich frage Ihn deshalb: „Wie siehst du das denn mit den Flüchtlingen?“
„Das ist Chaos! So wie damals. Ich denke wir Deutschen sind etwas schlecht vorbereitet.
Was die Kriegsflüchtlinge angeht habe ich sehr viel Verständnis. Um zu überleben geht man jeden Weg. Doch die anderen Flüchtigen,die aus Ländern kommen in denen kein Krieg ist, die schicken wir besser nach Hause. Sofort. Sonst kippt unsere Gesellschaft um.
Wir haben Regeln und die müssen respektiert werden
Das entspricht übrigens auch meiner Meinung. Auch für Kriegsflüchtlinge gilt – Sie sind Gäste und es gelten unsere Gesetze und unsere Ordnung! Wer das nicht will sollte sofort umkehren. Was ich wirklich nicht in Ordnung finde, ist das diese Flüchtlinge etwas erwarten. Das sagen mir die Gesichter in den Fernsehbildern. Krieg ist schlimm. Rettung unabdingbar. Doch die Erwartung, das wir ein Land sind, in dem Milch und Honig fließt und ihre Probleme lösen werden, ist falsch.
„Den Neuanfang müssen diese Flüchtlinge selbst machen“ sagt Georg und fährt fort,“Im Gegensatz zu uns Flüchtlingen von damals, gibt es für sie ja Hoffnung. Hier gibt es Zelte und Unterkünfte, Kleidung Essen und medizinische Versorgung. Menschen und Behörden die bereits aktiv Tag und Nacht alles tun. Wir können Ihnen gerne Zuteilungen für Wohnungen geben. Doch erst einmal nur da, wo Wohnraum vorhanden ist.“
Ich merke das wir da einer Meinung sind und sage:“ Ich habe in den letzten Tagen Bilder gesehen von Flüchtlingen, die eine behördliche Zuteilung für Heime und Wohnungen verweigern. Das geht gar nicht. Es geht nicht ,das wir für unsere eigene Bevölkerung nicht genug Wohnraum haben und nun extra für Flüchtlinge, Wohnungen neu bauen.“
Georg übernimmt nahtlos meinen Satz: “ Und wenn der Krieg in Syrien zu Ende ist, gehen sie wieder zurück und was machen wir mit den leerstehende Wohnungen?“
Tja ich sehe das auch so, das im Osten Deutschlands, aber auch im Westen hunderttausend Wohnungen leer stehen. Das sind erst einmal keine attraktiven Standorte. Doch in keinem Ort in Deutschland herrscht Krieg. Keine Bedrohung. Dort kann man erst einmal zur Ruhe kommen. Und ob die Bürger im Osten, also Sachen,Thüringen oder Brandenburg das wollen oder nicht, steht Angesichts der Situation nicht zur Debatte.
Meine nächste Frage: „Wie denken denn Deine Nachbarn darüber? Unterhaltet ihr Euch schon mal?“
Georg lacht: „Ja klar reden wir. Das ist ein Thema. Die Standpunkte sind gleich. Der Staat muss die Zuteilung bestimmen. Solange der Flüchtlingsstrom anhält. Nur so lassen sich Not und weiteres Chaos beseitigen. Wir sollten statt Bargeld Zuteilungsscheine für Lebensmittel und Kleidung an sie geben. Wie bei uns nach dem Krieg. Danach müssen sich diese Menschen selbst versorgen. Der einzige Unterschied zu unserer Flucht und dem Wiederaufbau nach dem Weltkrieg ist, wir sprachen damals alle nur eine Sprache.“
“ Ja“ sage ich.. „die Sprache müssen die Flüchtlinge erst einmal lernen. Und den Unterschied der Religionen akzeptieren. Und das sie Gäste sind in diesem Land. Doch wenn sie wollen, werden Sie einen Weg finden. Dann werden sie sich auch einen Platz in unserer Gesellschaft erobern.Oder was meinst du?“
Georg lächelt mich an und sagt:“ Und damit wir das Chaos in den Griff bekommen, muss bei einer Millionen erst einmal Schicht sein. Und wir brauchen mehr Polizeibeamte. Für die Sicherheit. Meine Nachbarn haben Angst. Habe Angst um ihre Werte, weil viele Flüchtlinge unkontrolliert über die Grenzen kamen. Die Ordnung muss gewährleistet sein. Das ist wie in der Industrie. Erst kommt die Standortbestimmung, dann der Aufbau und der Rest wird sich zeigen. Hinter der syrischen Grenze, oder besser hinter der türkischen Grenze, im Libanon und den arabischen Emiraten ist kein Krieg.“
Ich empfinde das als eine vernünftige Ansicht und bin auch der Meinung, das die Flüchtlinge, so leid es mir tut, die dortige Situation annehmen müssen. Und in den Nachbarländern von Syrien sind die vereinten Nationen zuständig.
Georg sagt: „Wäre Danzig von Krieg und Besatzung frei geblieben, wären wir sicher dort geblieben. Alle Staaten dieser Welt sind in den Nachbarländern von Syrien zuständig. Nicht nur die EU und auch nicht nur Deutschland. Und wenn die Menschen dort in den Lagern wissen, in Deutschland ist die Grenze dicht und sie machen sich trotzdem auf den Weg, schaffen sie sich selbst ein neues Problem. Das kann aber nicht unser Problem sein.“
An dieser Stelle fällt mir ein, das gerade die USA und Russland ,die ja mit verantwortlich für diese Krise sind, sich in der Flüchtlingsfrage sehr bedeckt halten und so sage ich:“ wäre gespannt wie Obama reagieren würde, wenn alle Boote über den Atlantik in Richtung Amerika unterwegs wären.“ Wir lachen beide und ich füge hinzu:“ Dabei fällt mir ein, das es eigentlich eine Fluchtroute gen Russland geben müsste. Wieso eigentlich nicht?“
Dieser Frage werde ich wohl noch nachgehen müssen. Ich fand unser erstes Gespräch sehr gut und ergiebig. Zumindest fand ich, das niemand anderes als ein Flüchtling, sich ein besseres Urteil zur Situation von Kriegsflüchtlingen erlauben kann.
Unsere weiteren Gespräche werden sich in die Vergangenheit begeben. Ich möchte nähmlich noch erfahren, was diese Generation der heutigen 80 jährigen so stark machte, das ein Wirtschaftswunder wie unseres in Deutschland möglich war. Wer waren die Helden, die mit Ihren Müttern, aus Schutt und Asche die Bundesrepublik Deutschland geschaffen haben?
Wie wurden aus Kindern, in Elend und Not, Helden unserer Familien? Die geprägt trotz oder gerade wegen des erlebten Weltkrieges, nur eines im Sinn hatten: „Ihr sollt es einmal besser haben als wir. Nie wieder Krieg!“
Betrachte ich unser heutiges Leben, dann war diese Energie nicht verschwendet. Ich lebe bereits sechzig Jahre ohne Krieg. Ich habe ein Leben lang gearbeitet und geholfen dieses Land zu dem zu machen, von dem die Helden meiner Jugend geträumt haben. Dafür bin ich Ihnen dankbar.
Nun ist es Zeit für neue Helden. Es stehen große Aufgaben an. Wir stehen am Beginn des Klimawandels. Hunger. Not. Kriege und Elend sind noch nicht beseitigt.
Vielleicht ist es gerade diese Flucht, eine Krise die neue Helden schafft? Die Helden hervorbringt die den Krieg abschaffen wollen. Ansonsten wird sich die Menschheit zwischen Hass und Neid zerfleischen. Wir sollten also erst einmal diese Flüchtlingskrise ruhig abwarten und sehen wie sich die Situation weiter entwickelt.
Ich habe in diesem Gespräch viel Vertrauen gefunden. Vertrauen, das es rechts und links von mir Gleichgesinnte gibt. Die Erfahrung haben. Das Chaos uns weiterbringt. Das auch chaotische Zustände, zu neuen Wegen und Modellen führen können.
Allein wenn man sich siebzig Jahre gelebte Politik und Gesellschaft eines Menschen ansieht, der den Weltkrieg und die Flucht überlebt hat, weiß man, das Kriegsflüchtlinge und das damit verbundene Chaos, unsere Werte nicht erschüttern kann. Solange wir von diesen Werten überzeugt sind oder sie jemals verstanden haben.
Ach so ja. Einige paar tausend Bürger dieser Republik müssen sich leider die Frage gefallen lassen: „Kennen Sie diese Werte? Haben Sie diese jemals gelebt?“ Aber das wäre ein neues Fass! So long Jazzie…..