Köln – Heute Morgen stieß ich auf folgenden Artikel von Gabriele Pohl der veröffentlicht im Presseportal(Ots) meine Aufmerksamkeit erfasste. Allein der Titel: „Kindheit ist in Gefahr!“ hat ja schon eine besondere Wirkung. Was die Autorin, Kinder- und Jugendtherapeutin Gabriele Pohl in ihrem Statement vom Stapel lässt, sollte man aufmerksam lesen, denn da ist eine Menge korrekt und richtig erfasst.Und bevor der Text im Internet Nirwana verschwindet habe ich den kompletten Beitrag hier eingesetzt.
Müssen wir uns damit arrangieren, dass die Kindheit als eigene, geschützte und schützenswerte Zeit zu Ende gehen wird? Wir lesen täglich Berichte über die Zunahme emotional gestörter und sozial auffälliger Kinder, über Gewalt unter Kindern. Und wir hören Expertenberichte über den besorgniserregenden körperlichen Zustand unserer Kinder: Übergewicht bei mehr als 20 Prozent aller Kinder, Diabetes, Haltungsschäden, schlecht ausgeprägte Fein- und Grobmotorik. Viele Kinder bedürfen umfangreicher Bewegungsförderung bereits in der ersten Klasse. Immer mehr Kinder leiden unter körperlichen Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen, unter Schlafstörungen und Sprachentwicklungsstörungen. Kinder werden immer früher und immer häufiger mit Psychopharmaka versorgt.
Kindheit heute: Problematisch bis unsichtbar
Dabei sind Kinder immer noch Kinder: neugierig, entdeckungsfreudig, fröhlich, mutig, lebhaft und voller Fantasie – wenn sie unter kindgerechten Bedingungen aufwachsen.
Leider sieht die Wirklichkeit vieler Kinder heute anders aus: Erwachsene und Kinder gleichen sich vom Habitus einander immer mehr an. Die Kinder tragen die gleiche Art von Hosen, gehen in den gleichen Sportverein und – als neuer Trend – absolvieren das gleiche Wellness-Programm wie ihre Eltern. Kleine Mädchen werden wie Lolitas gekleidet und in der Werbung unmissverständlich als Sexualobjekte präsentiert, kleine Jungs werden für Sportlerkarrieren trainiert. Wer nicht in das standardisierte Erwachsenenkonzept passt, dem werden Probleme und Störungen unterstellt und in Richtung Norm therapiert.
Gleichzeitig werden Kinder über die Medien mit allem konfrontiert, was Erwachsene tun, noch dazu in verzerrter Weise. Neben allen Formen von Trivialitäten sind Gewalt und Sexualität Hauptthema. Sendungen, die eigentlich für Erwachsene bestimmt sind, dürfen Kinder trotzdem häufig sehen. Daneben sind Kinder auch sehr gewieft darin, am Computer sowohl Pornos als auch Gewaltvideos über Youtube oder über andere Wege zu finden – natürlich ohne das Wissen ihrer Eltern. Das sind die Mutproben von heute: Wer hält den schlimmsten Film aus? Die Welt schrumpft im Fernsehen zur Soap Opera. Die Konfrontation mit dem Weltgeschehen durch das Fernsehen, mit Krieg und Gräuel, tut das Ihrige, die Kinder zu verwirren und Besorgnis bei ihnen auszulösen.
Umgekehrt ist Kindheit heute im Alltag fast unsichtbar: Spielende Kinder unter sich sind von den Straßen und Plätzen unserer Städte verschwunden. Diese pädagogikfreie Zone, in der Kinder dem Blick- und Kontrollfeld der Eltern entkommen können, ist in den letzten 20 Jahren fast vollständig aufgegeben worden. Es bleibt kein Raum mehr für Kindheit mit eigenen Gesetzmäßigkeiten, für Orte, die Kinder auf eigene Faust entdecken können. Stattdessen: eingezäunte Spielplatzruinen, Disco für Kindergartenkinder, intellektuelle Lernprogramme für Kleinkinder, verplante Zeit schon im Krabbelalter. Erwachsene dringen dabei immer weiter in das Kinderleben vor. Kinder sind seltener unter sich, fast immer sind Eltern, Erzieher, Lehrer, Freizeitpädagogen oder Trainer anwesend.
Intellektuelle Frühförderung als zusätzlicher Druck
Von Kindern wird frühe Wissensaneignung gefordert. Insbesondere in den letzten Jahren ist die Angst groß, Kinder könnten in dieser Hinsicht etwas versäumen. Wenn überhaupt noch Zeit zum Spielen bleibt, wird auf strukturierte Spiele im Sinne von Lern- und Gesellschaftsspielen gesetzt, die im Sitzen absolviert werden können. Selbst in den Kindergärten trifft man Kinder häufig vorwiegend sitzend an. Und am Nachmittag fehlt der Freiraum für das freie Spiel: Die Zeit ist verplant mit Förderprogrammen und Freizeitangeboten. Durch ein Überangebot an Dingen, die Kinder zu passiven Konsumenten machen, wird die Eigeninitiative der Kinder unterdrückt.
Förderung von Kindern kann aber, vor allem vor der Schulzeit, keine intellektuelle Förderung im eigentlichen Sinne sein. Kinder müssen sich erst eine körperliche, emotionale, soziale und geistige Grundausstattung aneignen, um gerüstet zu sein für die Anforderungen, die an sie in der Schule gestellt werden. Wenn wir nicht nur den denkenden Menschen im Blick haben, sondern auch den Menschen, der sozial kompetent, eigenverantwortlich und mitfühlend handeln soll, reicht eine intellektuell anregende Umgebung für den sich zu entwickelnden Menschen nicht aus. Kinder müssen eigeninitiativ auf Entdeckungsreise gehen, um sich zu selbstständigen, selbstbewussten, kreativen und sozialfähigen Menschen entwickeln zu können.
Eigene Erfahrungen prägen für’s Leben
Für ihre gesunde Entwicklung müssen Kinder Kohärenz entwickeln. Heißt: Sie sollten die Welt als bedeutsam und sinnhaft, als „gut“ erleben. Außerdem bedeutet es, dass Kinder ein Gefühl dafür entwickeln sollten, dass sie Einfluss auf die Welt nehmen können und dass sie die Welt – auf ihre Weise – als verstehbar erleben. Durch Kohärenzerfahrungen entsteht die Fähigkeit, Probleme meistern zu können, Mut zu entwickeln und Lebenssicherheit zu erlangen. Diese Faktoren sind grundsätzlich beim Kind angelegt, können aber durch schlechte Bedingungen erheblich gestört werden. Es ist wichtig, dass Kinder lernen, Verantwortung zu übernehmen und sich Hilfe zu holen, wenn es erforderlich ist. Sie brauchen soziale Kompetenz. Sie entsteht durch eine positive soziale Orientierung, durch das Erleben von Zusammengehörigkeitsgefühl und durch die Fähigkeit, schwierige Situationen auszuhalten und Lösungen zu finden. Gute, warmherzige Bindungen und ein stabiles Netz aus Freunden sind zur Entwicklung dieser Qualitäten wesentlich.
Dass dirigistische Erwachsene, übermäßige Kontrolle und wenig Möglichkeiten, Eigeninitiative zu entwickeln, dem entgegenstehen, versteht sich von selbst. Kinder müssen den Spielraum zur Verfügung haben, den sie benötigen, um ihre Fähigkeiten entdecken und entwickeln zu können – und um seelisch gesund und glücklich aufwachsen zu können. Dazu brauchen sie Erwachsene, die nur dann Hilfestellung geben, wenn es wirklich nötig ist, die nicht überbehüten und die Vertrauen in Kinder und deren Fähigkeiten haben. Kinder brauchen Erwachsene, die Kinder Kinder sein .(Ots)