Köln- Roger Cicero und Bigband in der Lanxessarena 14. März 2012
Es gab einige Menschen, die auf Ciceros neuer, mehr poporientierter CD „In diesem Moment“ die Dominanz des Bigband-Sound vermissten. Eben diese CD, deren Titel auch das aktuelle Tourprogramm darstellt, wird von Cicero bis auf einen Song komplett gespielt „“ und es stellt sich heraus, dass im Konzert seine Bigband durchgängig von höchster Präsenz ist. Zeitweilig hatte ich sogar das euphorische Gefühl, diese Band nie zuvor in einer solchen Brillanz und mitreißenden Spiellaune erlebt zu haben. Lutz Krajenski, der ehemalige Bandleader und großartige Arrangeur ist leider nicht mehr dabei „“ aber die bange Frage nach neuen und guten Livearrangements wurde positiv beantwortet. Wie ich hörte, wurden viele Arrangements von den einzelnen Musikern erarbeitet, und erfreulicherweise war fast jeder der dreizehn Bandmitglieder mit einem Solo „“ kurz oder auch mal länger „“ zu hören. Posaunist Uwe Granitzka wurde der neue musikalische Leiter „“ und wie man sich live überzeugen konnte, hat er die Band fantastisch „im Griff“.
Nach einem imposantem Bigband-Intro stürmt Cicero auf die Bühne und startet mit „Alles kommt zurück“, dem Song, der auch auf seinem Album der erste ist. Zum Text dieses Songs und auch zu den anderen Texten seines neuen Programms ist zu sagen, dass sie zwar immer noch den Wortwitz, die augenzwinckernde Ironie beinhalten „“ aber doch auch in vielen Teilen direkter, persönlicher und sensibler klingen.
Für mich sind die neuen Texte hintersinniger, und selbst am folgenden harmlos erscheinenden Textbeispiel spürt man doch, dass eine größere Ernsthaftigkeit die Jetztzustände oder eigenen
Befindlichkeiten gefühlvoller beschreiben, als die frühere, kesse Flapsigkeit: „…am Kühlschrank seh ich unsre Polaroids noch hängen, sogar die sind heute wieder „in“, das gilt so oft, aus alt mach neu, doch was man wieder haben will, ist ein für alle mal vorbei …“
Beim Livesound der neuen Cicerosongs ist zu erkennen, dass seine CD „mainstreamiger“ oder poporientierter klingt, weil dort tatsächlich die Bigband zu Gunsten eines anderen, aktuellen
Sounds „runtergedreht“ wurde. Das heißt aber nicht, dass die Songs live wenigter groovten. Im Gegenteil: Da wurde seitens der gesamten Crew mit maximaler Energie aufgefahren, das hatte
Rock-Pop-Soul Qualitäten die oft sogar an die Jazz-Funk-Fusion eines Peter Herbolzheimer erinnerten. ( Cicero musizierte mit ihm während seiner „Lehrjahre“…. lang ist’s her). Immer wieder hält es die Menschen in der Halle nicht auf ihren Sitzen „“ Cicero heizt schon bei diesen ersten Titeln „Keine halben Sachen“ oder auch „Spontis zeugen Banker“ ordendlich ein!
Aber rasch folgt ein ganz anderer, getragener und absolut „jazziger“ Song – „Adieu und Kuss“- (übrigens noch eine hervorragende Komposition aus der Feder Lutz Krajenskis) dessen Geschichte einem Bondfilm entnommen sein könnte. Roger Ciceros Gesang ist hier mal chansonweich im Wechsel mit hochjazzigen,kräftig gesungenen Passagen. Seine Stimme strahlt in allen denkbaren Schattierungen. In dieser musikalischen Breite, Professionalität und stimmlichen Qualität ist Roger Cicero in Deutschland eine beglückende Ausnahmeerscheinung. Die begleitende Bigband setzt
wuchtige Akzente, ein Saxophonsolo und Rogers Stimme machen den anspruchsvollen Song zu einer musikalischen Koryphäe!
Die Reihenfolge der Songs wurde geschickt und sehr kontrastsreich konzipiert. Es gab keinen abgeschlossenen Block, indem z. B. nur die neue CD vorgestellt wurde. Das wechselte auch mit
Titeln seiner älteren CDs, die zum Teil in neuen Medleys arrangiert waren. Überraschend und meisterhaft bekam die traurige Ballade „Fachmann in Sachen Anna“ ein völlig anderes, totales
„Soul+Funkkonzept“ , welches ich so vorher nicht für möglich gehalten hätte und was tatsächlich mitreißend funktioniert.
Ja, und dann gab es noch die wirklich herausragenden „sensationellen“ Momente, von denen einige zwingend auf einer Live-CD irgendwann mal ein Zuhause finden sollten. Auf allen bisherigen Cicero-Konzerten glänzte der Künstler besonders mit seinen Covern unterschiedlichster Songs. Während der „Männersachen-Tour“ war es der Rio-Reiser-Song „König von Deutschland“, oder Klaus Lages „Tausendmal berührt“. Auf der „Beziehungsweise-Tour“ machte er aus Grönemeyers „Männer“
eine unglaublich rasante Swingnummer mit Scateinlage, die Count Basie zur Ehre gereicht hätte. Er machte aus dem Princesong „How come U don’t call me anymore“ eine vokale Tour de force voller
explosiver und unvergesslicher Blues- und Soulttöne. (enthalten auch auf der Cicero DVD: Live at Montreux). Und schließlich wurde auch „Geboren“ von den „Fantastischen Vier“ in Ciceros Version
eine heiße, nicht wiederzuerkennende Jazznummer. Allen Covern ist eines gemeinsam: Sie beweisen Ciceros immense Vielseitigkeit aber auch seine Unverwechselbarkeit, seine künstlerische Individualität.
Er nähert sich kreativ und intelligent dem jeweiligem musikalischem Idiom, er wandelt und setzt neue Impulse – aber er BLEIBT immer Roger Cicero!
Auf seiner aktuellen Tour covert Cicero den Sting Song „I was brought my senses“. Der Song ist im eher ungewöhnlichen,“ungradem“ 7/8 Takt geschrieben, und ist besonders für den Schlagzeuger ein Herausforderung. Cicero bedient sich erstmalig der E-Gitarre und anfangs klingt der Titel wie ein Folk-Rocksong. Cicero singt den wortreichen Song im englischen Original. Es ist ein
poetischer, spiritueller Text, eher ein Gedicht in dem es um die Rückbesinnung auf das eigene Sein, Verbundenheit mit der Natur, der Symbolik und um das Suchen, Sehnsucht und (Wieder)-finden der Liebe geht.
Ein großer Song, der von Cicero in hochdynamischer Weise interpretiert wird. Wieder erlebt man einen anderen Sänger, der jetzt englisch singend fast eine andere Indentität ausstrahlt,
und doch wieder ganz und gar Cicero ist. Nach knapp zwei Minuten, in denen Roger stilbewußt nur zur E-Gitarre singt, knallt die gesamte Bigband schräg- und volltönend in den Song hinein und läßt das Stück feuerwerksartig in sattesten Tönen funkeln. Das Saxophonsolo von Ulli Orth ist virtuos, ungestüm und rauschaft „“ so groovt der Song anhaltend rock-und jazzfusioniert in einer Art Klangekstase – immer vermischt mit der Intensität von Ciceros Stimme – und endet
erst nach über fünf Minuten. Ein absolutes Highlight des Kölner Konzerts !
Ein anderer „sensationeller Moment war Rogers Ballade „In diesem Moment“. Besser hätte man diesen Song mit dem klaren,bedeutungsvollen Text im Konzert nicht inszenieren können. Die Bühne
ist komplett abgedunkelt, der Sänger steht silhouettenartig unter zwei sich schräg überlagernden Scheinwerfern „“ auch sein Gesicht bleibt fast im Dunkel. Wieder die großen Unterschiede der
Klangfarben in Ciceros Stimme. Erst ruhig, weich und dann im Refrain wirklich mit größter Eindringlichkeit gesungen, ist das sicher sehr emotional, aber unpathetisch. Das das so ist, liegt auch einfach an der Qualität von Ciceros Stimme, an seiner Gesangstechnik, und nicht zuletzt an seiner Geschmackssicherheit im Vortrag, die kitschige oder gefühlstriefende Phrasierungen nicht zulässt.
„In diesem Moment“ ist inzwischen ein Song, der auch vom breiten Publikum „“ also nicht nur bei den Fans – großes Gefallen findet. Ich bin mir sicher, dieses Lied mit der eingängigen
aber sehr schönen Melodie wäre ein Riesenhit geworden, wenn man es öfter im Radio gehört hätte. Bei YouTube kann man inzwischen zahllose Coverversionen von dem Song finden. Die kurze Stille nach dieser Vorstellung und dann der ganz große und andauernde Applaus sprechen dafür, wie sehr die Menschen berührt und gefesselt waren.
Natürlich hat jeder Konzertbesucher seine „eigenen“ sensationellen Momente. Ein weiterer von „meinen“ aber war ein Song, den es nur auf der Saturnversion der CD gibt und der deshalb für viele Besucher neu war. „Nichts ohne Musik“ ist ein „wilder“ schneller und lauter Song „“ gehetzt, voll furiosem Drive! Imitten dieses Songs stellt Roger seine fantastische Bigband
vor. Alle Trompeter, Saxophonisten und Posaunisten kommen dann vom oberen Teil der Bühne nach unten an den Bühnenrand und spielen sich gegenseitig mit unbeschreiblicher Verve und sprühender Spiellaune an die Wand. Dazwischen ein Roger Cicero, der selbstvergessen und in voller Lautstärke staccato-artig “ denn du bist nicht so’ne Musik“ singt. Das Stück fegt wie ein Orkan durch die Halle!
Der Song endet fast abrupt und alle Musiker erstarren einige Sekunden lang in ihren gestikulierenden Spielposen. Ein eingefrorenes Bild – eine sehr effektvolle Gesamtvorstellung!
Um den Bereich der „sensationellen Momente“ in diesem Konzertbericht zu beenden, muss ich noch Ciceros zweite Zugabe des Abends erwähnen. „Von Dunkelheit zu Licht“ schrieb er zusammen mit Rea Garvey. Diese sparsam instrumentierte Ballade ist ein Höhepunkt innerhalb seiner bisherigen Balladen, gleichzusetzen etwa seiner Hommage an den Vater Eugen Cicero.( „Ich hätt‘ so gern
noch Tschüß gesagt“). Großartiger Text, wunderbare Melodie. Hier zeigt sich Ciceros oberstes Prinzip des Gesangs: Singen muss leidenschaftlich sein! Und wenn er allein singend am Keyboard sitzt, über ihm die Bildprojektion des Mondes, der halb beleuchtet, halb im Schatten liegt „“ dann wird mir am ehesten klar, was „charismatischer Gesang“ ist. Roger Cicero zeigt es in diesem
Song. Wenn er im letzten Teil des Liedes singt, dass die Lichter „brennen“ sollen, dann kommt dieses „Brennen“ ausdrucksmäßig wie ein Hilfeschrei. In manchen Kritiken war zu lesen, dass der stets gutgelaunte Cicero sein gesamtes Konzert mit einem „Dauerlächeln“ bestreitet. Ich meine, da müssen diese Rezensenten viele wichtige Momente übersehen haben.
In diesem Konzert wurden natürlich auch kurz vor Ende die „Ciceroklassiker“ seines ersten Albums gespielt. Bei „Zieh die Schuh aus“ , Frauen regiern‘ die Welt“ oder „Murphys Gesetz“ rockt die Halle sozusagen durchgehend „“ so wie es schon immer auf jedem Konzert war. Und sie rockte ebenso bei Ciceros Discotitel „Der Typ im Spiegel“ und ganz besonders bei der größten Funknummer des Abends: „Nicht für mich“. Das war schon ein „neuer“ Cicero, wie man ihn bisher noch nicht gehört hatte.
Der Funk war „härter“ und am Ende der ultraheißen Nummer begeisterte Ulrich Rode das Publikum noch mit einem aufpeitschendem langem Gitarrensolo.
Kontrastreich wurde der eher leise Song mit Chansoncharakter „Zu zweit“ im Programm integriert. Cicero interpretierte dieses Lied über die frisch erworbene Akzeptanz der Einsamkeit mit großer Leichtigkeit und viel Charm. Herausragend waren auch die Songs „Was weißt du schon von mir“ und besonders „Erste Liebe“. Beide Songs sind stark melodiebetont und bestechen mit reichhaltigen, exzellenten Arrangements, die die Halle mit spektakulärem Klang erfüllten und entsprechend viel Applaus erhielten.
Einen sehr beachtlichen Auftritt hatte zwischendurch die junge Sängerin Emily Fröhling mit dem Kelly-Clarkson-Song „Beautiful Disaster“. Cicero kündigte sie mit der Bemerkung an, dass schließlich nicht jeder junge Sänger zu DSDS gehen muss. Ich halte Emily für ein großes Gesangstalent. Ihre Stimme ist ausdruckstark, sehr modulationsreich mit großem Tonumfang.Sie
intoniert absolut sauber und hat schon jetzt eine eigene Klangfarbe. In ihren kräftigen Noten bekommt Emilys ansonsten weiche, warme Stimme eine unerwartet stählerne Härte und offenbart sich
kitschfern. Nein, mit Celine Dion hat sie nichts zu tun! Nicht nur in Balladen, auch im Soulbereich liegt Emilys Stärke. Sie singt wesentlich besser, als viele von den zur Zeit angesagten populären deutsche Popsängerinnen wie beispielsweise eine stimmlich völlig
unbedarfte Frida Gold „“ die für den Erfolg ihrer infantilen Popmusik für den Echo nominiert wurde. Emily Fröhling kann mit ihrer Begabung und Stimme die Liga einer Joss Stone erreichen. In
Köln gab es für sie nach nur einem Song spontane, stehende Ovationen!
Ein Wort noch zur künstlerische Gestaltung des Cicero-Konzerts. Die wechselnden, effektvollen Lichtinszenierungen und Bildprojektionen auf riesigen Videowänden waren auf faszinierende Weise genauesten auf die Inhalte der Songs fokussiert.Cicero erzählte übrigens ungewöhnlich viel und locker aus seiner Biografie und auch dazu gab es Bilder. Der zwölfjährige Roger bei seinem ersten Bühnenauftritt an der Seite von Helen Vita. Oder der 15jährige mit seinem berühmten Vater. Von seiner neuen CD sagte Cicero, sie sei seine persönlichste. Das voherige Album „Artgerecht“ wurde seiner (musikalischen) Art gerecht. „In diesem Moment“ geht einen Schritt weiter, ist eine musikalische Ergänzung und auch Erweiterung und ist in den Texten stärker auf seine Person, auf sein Denken, oder seinen allgemeinen Daseinszustand bezogen.
Mir hat in diesem neuen Konzertprogramm nichts gefehlt. Die energiegeladenen, rhythmischen swingenden und groovenden Titel überwogen – aber auch die leiseren Momente des Innehaltens waren da!
Erst nach drei Zugaben -es ging bereits auf 23:00 Uhr zu – wurden der Künstler und seine Bigband entlassen.